Handelsblatt - "Risiko Nummer eins": Unternehmen rüsten sich für dauerhaft hohe Rohstoff- und Energiepreise

„Risiko Nummer eins“: Unternehmen rüsten sich für dauerhaft hohe Rohstoff- und Energiepreise

Die extremen Preisbewegungen bei Metallen und Energie seit 2021 schlagen erst jetzt auf die Ergebnisse vieler Industriefirmen durch. Wie sich Unternehmen vor neuen Turbulenzen schützen können.

Die Kapriolen an den Rohstoff- und Energiemärkten machen deutschen Unternehmen zunehmend zu schaffen. Sie sehen die Preise für Industriemetalle, Öl oder Strom und Gas inzwischen als das größte Risiko für den Geschäftserfolg – noch vor konjunkturellen oder geopolitischen Risiken. Das geht aus einer aktuellen Befragung von Geschäftsführern und Einkaufsmanagern durch die Beratungsgesellschaft Inverto in Zusammenarbeit mit dem Handelsblatt hervor.

Danach rüsten sich die Unternehmen für dauerhaft hohe Rohstoff- und Energiekosten. Zwar sind Öl, Aluminium, Gas und Kupfer nach dem extremen Anstieg im vergangenen Jahr wieder deutlich billiger geworden. Das liegt an der besseren Verfügbarkeit und an der sich abschwächenden Konjunktur.

Doch die Mehrheit der deutschen Unternehmen erwartet, dass die Preise in den nächsten 18 Monaten auf dem derzeit weiterhin hohen Niveau bleiben oder teils sogar wieder anziehen könnten – etwa ausgelöst durch einen Konjunkturaufschwung im nächsten Jahr.

Der Inverto-Umfrage zufolge rechnen 59 Prozent der Firmen mit mindestens konstanten oder leicht steigenden Rohstoff- und Energiekosten. 38 Prozent erwarten allenfalls moderate Rückgänge.

Von dem Niveau früherer Jahre sind die Preis für wichtige Vorprodukte und Energieträger aktuell weit entfernt. So hat Kupfer vor fünf Jahren noch zwischen 6000 und 7000 Dollar je Tonne gekostet. Derzeit sind es rund 8300 Dollar. Aluminium ist heute ein Viertel teurer als vor der Coronakrise.

Erdgas wird in Europa an der Börse gegenwärtig mit 36 Euro pro Megawattstunde gehandelt. Das ist zwar deutlich weniger als in der Spitze 2022, als der Preis für kurze Zeit auf nahezu 300 Euro schoss. Doch im Vergleich zu den Jahren 2016 bis 2019 liegen die Kosten um 40 bis 50 Prozent höher.

Damit müssen vor allem die energieintensiven Branchen umgehen. Die Chemieindustrie erwartet keine Rückkehr auf frühere
Niveaus beim Einkauf. „Die Unsicherheiten und Risiken bleiben hoch. Unternehmen müssen mit dauerhaft höheren Preisen rechnen“, heißt es in einer Analyse des Verbands der Chemischen Industrie. Die ersten Chemiefirmen bereiten sich darauf vor: So legt die Kölner Lanxess AG eine energieintensive Anlage am Standort Krefeld still, eine weitere soll verkauft oder ebenfalls dauerhaft abgeschaltet werden.

„Die Auswirkungen der stark gestiegenen Energie- und Rohstoffpreise in den vergangenen Jahren spüren die Unternehmen heute“, sagt Justus Brinkmann, Senior Projekt Manager bei Inverto. Preiskapriolen wie 2021/22 hat es zuvor kaum gegeben – viele Unternehmen wurde davon kalt erwischt. Sie seien gezwungen gewesen, im vergangenen Jahr neue Lieferverträge für Rohwaren und Energie zu sehr hohen Preisen abzuschließen, sagt Brinkmann.

BASF zapft amerikanische Flüssiggas-Lieferanten an

Großunternehmen wie BASF suchen nach neuen Lieferquellen, die ihnen mehr Planbarkeit bieten. Der weltgrößte Chemiekonzern ist jetzt in den USA fündig geworden: BASF sichert sich Flüssiggaslieferungen vom Energiekonzern Cheniere aus den USA. Die Amerikaner werden von 2026 bis 2043 jährlich 800.000 Tonnen LNG an die Deutschen liefern. Das ist als Ersatz für das wegfallende russische Gas geplant.

„Wir diversifizieren unser Energie- und Rohstoffportfolio in einer Zeit der kritischen Änderungen auf dem europäischen Gasmarkt, der von höherer Nachfrage und volatilen Preisen geprägt ist“, erläutert BASF-Finanzvorstand Dirk Elvermann.

Der Kontrakt ist an die Entwicklung des Gaspreises in den USA geknöpft, den Marktexperten wegen der ausreichenden Vorkommen in Amerika in den kommenden Jahren auf stabil niedrigem Niveau erwarten. Bemerkenswert ist die lange Laufzeit bis 2043, mit der BASF Versorgungssicherheit und bessere Planbarkeit erreichen will.

Die Verwerfungen an den Rohstoffmärkten treffen auch anderen Schlüsselindustrien, etwa den Maschinenbau. „Die vergangenen drei Jahre waren geprägt von Energiekostensteigerungen und Versorgungsengpässen ungekannten Ausmaßes“, sagt Bianca Illner, Leiterin der Abteilung Unternehmensberatung beim Branchenverband VDMA. Zur Sicherung der eigenen Lieferfähigkeit seien die Maschinenbauer gezwungen gewesen, neue Lieferanten zu suchen. „Dies hatte direkte Auswirkungen auf die Materialkosten der Unternehmen.“

Umso wichtiger werden Strategien zur Absicherung der Risiken. Eine der gängigsten Methoden in der Industrie ist es, langfristige Lieferverträge zu fixen Preisen abzuschließen. Das zeigt nicht nur die Studie von Inverto, sondern auch eine Umfrage des Institutes der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Die IW-Forscher haben rund 800 Unternehmen zu ihrem Einsatz von Industriemetallen und ihren Strategien zum Schutz vor Preisrisiken befragt und die Ergebnisse mit einer gleichlautenden Umfrage aus dem Jahr 2013 verglichen.

Mittelständler fehlen Absicherungsmöglichkeiten

Das Resultat: Mehr als die Hälfte der befragten Firmen nutzen langfristige Verträge mit Fixpreisen. Doch besonders kleinen Unternehmen mit einem Jahresumsatz von bis zu einer Million Euro steht diese Möglichkeit immer seltener offen. Lediglich etwas mehr als jedes fünfte befragte kleine Unternehmen nutzt Fixpreisvereinbarungen. Bei großen Unternehmen ab 50 Millionen Euro Jahresumsatz ist die Methode Standard.

Auch Preisabsicherungen über den Finanzmarkt, sogenanntes Hedging, steht kleineren und mittleren Firmen bis 50 Millionen Euro Umsatz kaum zur Verfügung. Der Anteil der befragten Firmen, die Hedging nutzen, ist gegenüber 2013 um 14 Prozentpunkte gesunken. Hubertus Bardt, Geschäftsführer und wissenschaftlicher Leiter des IW sagt: „Preisabsicherungsgeschäfte sind meistens zu komplex für kleinere Firmen. Offenbar scheint es der Finanzindustrie bislang nicht gelungen zu sein, Produkte zu entwickeln, die für Mittelständler besser geeignet sind.“

Immerhin: Die befragten Unternehmen gehen weitaus sparsamer mit den eingesetzten Industriemetallen um und reduzieren so das Kostenrisiko. VDMA-Expertin Illner erwartet, dass die Unternehmen besonders im aktuellen Umfeld den Fokus darauf setzen, weiter Materialkosten einzusparen. „Diese sind im Maschinenbau der größte Kostenblock und mitunter der einzige Hebel zur Kostenreduzierung“, berichtet sie. Zumal die Möglichkeit, Kosten beim Personal zu sparen, angesichts des Fachkräftemangels, eingeschränkt sei.

Begrenzt ist mittlerweile auch der Weg, die Verkaufspreise weiter zu erhöhen. Im vergangenen Jahr haben Lieferanten ihre Produkte deutlich teurer an die Kunden gebracht, weil bei denen der Bedarf und die Angst vor Lieferengpässen groß waren. Jetzt ist die Situation anders. „Der Preiskampf in der Industrie ist stark“, beobachtet Inverto-Industrieexperte Lars-Peter Häfele. „Unternehmen versuchen, die im vergangenen und in diesem Jahr erreichten Preiserhöhungen so lange wie möglich zu erhalten. Doch das wird angesichts der Konjunkturschwäche schwieriger.“

Dazu kommt: Die große Sorge vor Lieferengpässen ist verflogen, wie die Umfrage zeigt. Inverto und auch das IW Köln empfehlen den Unternehmen aber, ihre Lieferketten zu durchleuchten, mögliche Risiken aufzudecken und sich beispielsweise durch ein breiteres Lieferantennetz abzusichern. Die Firmen sollten eine langfristige Versorgungsstrategie auf den Märkten verfolgen.

Handelsblatt - Der nächste Schock kommt

Die Sorge vor Lieferengpässen ist wie verflogen. Ein gefährlicher Trugschluss.
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Quelle: Handelsblatt vom 31.08.2023

Autoren: Jakob Blume, Bert Fröndhoff

Dokumentennummer: HB_29345052

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