Die Inflation bremsen

Einkauf kontra Lebensmittelkrise

 

 

 

Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine fürchtet die Welt eine Hungerkrise im Globalen Süden, denn die beiden Kriegsgegner sind die wichtigsten  Getreidelieferanten für den afrikanischen Kontinent. Doch auch im wohlhabenden Westen heizen Verknappung und steigende Preise für Energie und  Grundnahrungsmittel wie Getreide und Pflanzenöl die Inflation an. Klar ist: Die globalen Warenströme für Lebensmittel werden sich nachhaltig verändern.  Einkäufer:innen sollten sich auf eine längere Zeit mit großer Volatilität und knappen Verfügbarkeiten einstellen. Dennoch sollten sie nicht jede Preisforderung akzeptieren.

 

Der Krieg in der Ukraine hat ein bereits bestehendes Problem noch einmal verschärft: Laut World Food Programme steigt die Zahl der Hungernden seit 2018 kontinuierlich an. Im vergangenen Jahr sind die Preise für Grundnahrungsmittel – maßgeblich getrieben durch höhere Kosten für Energie und Transport – bereits um rund 30 Prozent gestiegen. Seit Januar sind noch einmal über 20 Prozent Teuerung hinzugekommen.

Zumeist trifft Hunger Menschen, die in den von Armut geprägten Krisen- und Konfliktregionen der Welt leben – im so genannten Globalen Süden. Doch Unterversorgung findet man auch in Europa: So berichtet die britische Food Foundation, dass zuletzt rund 14 Prozent der englischen Haushalte kleinere oder weniger Mahlzeiten als eigentlich benötigt zu sich nahmen. In europäischen Supermärkten und Discountern weichen Bürger:innen verstärkt auf die günstigeren Eigenmarken aus und streichen teurere Lebensmittel – in Deutschland etwa  Milchprodukte oder Rindfleisch – ganz vom Einkaufszettel. Die günstigen Lebensmittel wiederum fehlen den Tafeln, die einen nie gesehenen Andrang verzeichnen.

Die beiden Kriegsgegner liefern rund zwölf Prozent der Kalorien, die weltweit konsumiert werden, hat die Boston Consulting Group (BCG) errechnet. Diese Energie ist nicht weg, sondern findet schlicht nicht ihren Weg zu den Konsument:innen. Rund 20 Millionen Tonnen Getreide waren bis zum Sommer im ukrainischen Hafen Odessa blockiert. Seit dem Abschluss eines von der UNO und der Türkei vermittelten Abflusses beginnen zwar die Auslieferungen, doch die Verschiffung läuft schleppend und erreicht nicht immer diejenigen, die das Getreide am dringendsten bräuchten. Ukrainische Ölmühlen, die Sonnenblumenkerne verarbeiten, können wegen des Krieges nicht arbeiten. Die Folge: Da Unternehmen und Verbraucher:innen auf Alternativen ausweichen, ist der gesamte Markt unter Druck und die Preise aller Pflanzenöle sind weltweit in nie gesehene Höhen gestiegen.

Da Unternehmen und Verbraucher:innen auf Alternativen ausweichen, ist der gesamte Markt unter Druck.

Getreide und Pflanzenöle zu Rekordpreisen

Die beiden Kriegsgegner liefern rund zwölf Prozent der Kalorien, die weltweit konsumiert werden, hat die Boston Consulting Group (BCG) errechnet. Diese Energie ist nicht weg, sondern findet schlicht nicht ihren Weg zu den Konsument:innen. Rund 20 Millionen Tonnen Getreide waren bis zum Sommer im ukrainischen Hafen Odessa blockiert.

Seit dem Abschluss eines von der UNO und der Türkei vermittelten Abflusses beginnen zwar die Auslieferungen, doch die Verschiffung läuft schleppend und erreicht nicht immer diejenigen, die das Getreide am dringendsten bräuchten. Ukrainische Ölmühlen, die Sonnenblumenkerne verarbeiten, können wegen des Krieges nicht arbeiten.

Die Folge: Da Unternehmen und Verbraucher:innen auf Alternativen ausweichen, ist der gesamte Markt unter Druck und die Preise aller Pflanzenöle sind weltweit in nie gesehene Höhen gestiegen. 

 

 

Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine fürchtet die Welt eine Hungerkrise im Globalen Süden, denn die beiden Kriegsgegner sind die wichtigsten Getreidelieferanten für den afrikanischen Kontinent.

Es gäbe durchaus Interessenten, die in die Lücken schlüpfen wollen. So haben Argentinien und Indien angekündigt, den Anbau von Sonnenblumen auszuweiten und ihr Öl künftig verstärkt nach Europa zu exportieren. Doch das bringt erst mittelfristig Entlastung. Indien wollte darüber hinaus in diesem Jahr deutlich mehr Weizen exportieren und plant langfristig eine Steigerung der Getreideexporte.

Die Hitzewelle, die Indien und Pakistan im Frühjahr heimsuchte und die Ernte laut ersten Schätzungen um rund ein Viertel dezimierte, machte diese Pläne vorerst zunichte: Aus Sorge, die eigene Bevölkerung nicht ernähren zu können, hat die Regierung einen Exportstopp verhängt.

Drei Getreidearten ernähren die Welt

Rund 40 Prozent der Kalorien, die Menschen weltweit verzehren, stammen von nur drei Getreidearten: Weizen, Mais und Reis. Die Produktion dieser Grundnahrungsmittel findet konzentriert in wenigen Weltregionen statt, und viele Länder sind davon abhängig, von dort Getreide für das täglich Brot ihrer Bevölkerung zu importieren. Angesichts des fortschreitenden Klimawandels ist diese weltweit gelebte Praxis riskant. Experten empfehlen eine stärkere Diversifizierung des Getreideanbaus, mehr regionale Anbaugebiete und die intensivere Nutzung klimatisch angepasster Pflanzen.

/ Anteil von Russland und der Ukraine an der weltweiten Exportmenge ausgewählter Agrarprodukte im Jahr 2020

Sonnenblumenkuchen
: 18%
: 51%
Sonnenblumenöl
: 21%
: 44%
Gerste
: 19%
: 9%
Mais
: 1%
: 14%
Raapssaat
: 3%
: 9%

Akute Engpässe heute – langfristige Unsicherheit in Zukunft?

Der Krieg führt zu akuten Engpässen. Diese können sich mittelfristig allerdings zu einer ernsten Versorgungsunsicherheit auswachsen. Denn: Russland und das ebenfalls von Sanktionen betroffene Belarus sind wichtige Produzenten von Düngemitteln. Außerdem ist Erdgas einer der maßgeblichen Rohstoffe für die Herstellung von Dünger. Durch die Preissteigerung und die Sanktionen können sich Bauern in ärmeren Ländern Dünger kaum noch leisten. Die Erträge werden daher schrumpfen und die Knappheit verschärfen, wenn nicht sehr schnell wieder ausreichend Dünger zu günstigen – gegebenenfalls subventionierten – Preisen auf den Weltmarkt kommt.

Einkäufer:innen kämpfen für Versorgungssicherheit

Während die UN-Institutionen FAO (Food and Agriculture Organization) und WFP gemeinsam mit den westlichen Industrienationen gegen die drohende Hungerkrise kämpfen und Entlastungspakete für ärmere Bevölkerungsgruppen in Europa die Härten der Inflation mildern sollen, stehen Einkaufsabteilungen von Lebensmittelherstellern und Handelsunternehmen individuell vor der Herausforderung, die Versorgung sicherzustellen und den rasanten Preisanstieg zu bremsen. Da Lebensmittel nicht nur Konsumgüter sind, sondern zur Daseinsvorsorge gehören, ist der Druck enorm.

Akteur:innen in der Lebensmittellieferkette müssen in der akuten Krise Lösungen finden und zugleich ihre bisherige Einkaufsstrategie auf den  Prüfstand stellen: Die Hitzewelle in Europa und  Indien, wochenlange Regenfälle und Überschwemmungen in Pakistan und den USA und andere Wetterphänomene zeigen, dass der Klimawandel weltweit Fahrt aufnimmt. Ernteausfälle,  die Exportstopps und globale Ausweichreaktionen nach sich ziehen, werden folglich zunehmen. Wir gehen davon aus, dass die Volatilität, die sich in den seit 2018 steigenden Zahlen  Hungernder ausdrückt, hoch bleiben wird. „New Normal“ bedeutet für Produzenten, sich auf wiederkehrende Knappheiten verschiedener Lebensmittel einzustellen.

Da Lebensmittel nicht nur Konsumgüter sind, sondern zur Daseinsvorsorge gehören, ist der Druck enorm.

Unternehmen und ihre Lieferanten rücken enger zusammen

Um unter diesen Bedingungen die Versorgung sicherzustellen, ist es zwingend notwendig, die eigene Lieferkette und die Wertschöpfungskette der wichtigsten Rohstoffe gut zu kennen. Unternehmen sollten enger als bisher mit ihren Lieferanten zusammenarbeiten, um deren Abhängigkeiten und Risiken zu verstehen und gemeinsam Frühwarnmechanismen und Maßnahmenkataloge zu definieren.

Dazu gehört, die Lieferketten zu diversifizieren und zentrale Rohstoffe parallel aus verschiedenen Regionen der Welt zu beziehen. Angesichts potenzieller Unterschiede der Produktspezifikationen muss sich der Einkauf dazu eng mit Produktion und Qualitätssicherung abstimmen. Regional diversifizierte Lieferketten sind in der Regel teurer als der zentrale Bezug aus einer Quelle. Angesichts wachsender Wetter- und geopolitischer Risiken besteht dadurch aber eine größere Absicherung gegenüber Lieferausfällen.

Szenarien realistisch planen

Gibt es – wie etwa bei Sonnenblumenöl – weltweit eine einzige dominante Lieferregion, sollten Unternehmen in ihrem Risikomanagement definieren, auf welche Substitute sie ausweichen können, um bei Bedarf schnell handeln zu können. Natürlich lassen sich Kriege nicht vorhersehen. Doch dass zum Beispiel in einer trockenen Region die Ernte auf den Anbauflächen verdorren kann, ist leider ein realistisches Szenario und sollte daher in Maßnahmenplänen berücksichtigt werden.

Gerade in der Lebensmittelbranche liegen die Vorteile eines langfristigen, strategisch ausgerichteten Risikomanagements auf der Hand: Alternative Rohstoffe können Geschmack und Aussehen des Produkts für den Kunden verändern, stellen andere Anforderungen an die Produktion und müssen die Bestimmungen des Lebensmittelrechts erfüllen – bis hin zu der Vorgabe, dass zum Beispiel kein Rapsöl in der Frühstückscreme sein darf, wenn Sonnenblumenöl auf dem Etikett steht. Wer sich mit all diesen Themen und Fragen vor Eintritt eines Risikos auseinandergesetzt hat, bleibt handlungsfähig.

Kompromissfähigkeit und Kooperation sind zentral, um in der aktuellen Situation tragfähige Lösungen zu finden. Das bedeutet aber nicht, dass Einkäufer:innen die Preisforderungen ihrer Lieferanten kritiklos hinnehmen sollten. Im Gegenteil: Jede Preiserhöhung sollte überprüft werden. Hellhörig werden sollten Einkäufer:innen immer dann, wenn eine Forderung pauschal mit „der Inflation“ begründet wird. Bei einer berechtigten Forderung können Lieferanten nachweisen, wo welche Preiserhöhungen entstehen. Fairer Umgang bedeutet auch, dass Lieferanten bereit zu kurzfristigen Reviews sein sollten, um etwaige Preissenkungen auf dem Weltmarkt ebenfalls an ihre Kunden weiterzugeben. Wo immer möglich, sollten Einkaufsabteilungen auch diese Steigerungen gemeinsam mit dem Lieferanten angehen – vielleicht ergeben sich durch die Kooperation neue Möglichkeiten, um drohende Preisanstiege zu mindern und damit einen Beitrag für bezahlbare Lebensmittel zu leisten.

 

Fazit

Die aktuelle Volatilität auf den Lebensmittelmärkten wirft ein Schlaglicht auf die Konzentration und die weltweiten Abhängigkeiten in der Lebensmittelproduktion. Zudem ist sie ein Vorgeschmack auf die Folgen des Klimawandels. Unternehmen berücksichtigen die steigende Unsicherheit, indem sie ihre Lieferketten diversifizieren und ein langfristig orientiertes strategisches Risikomanagement aufsetzen. In der aktuellen Situation hat der Einkauf eine besondere Verantwortung: Durch schnelles Handeln angesichts kurzfristiger Ausfälle und die präzise Analyse von Preisforderungen kann er die Versorgungssicherheit stabilisieren und die Inflation der Lebensmittelpreise mindern.

Autor:innen

Paul Mohr

ist Managing Director im Kölner Büro von INVERTO und Experte für Lebensmittel. Er berät überwiegend Unternehmen aus Handel, Lebensmittelbranche und Konsumgüterindustrie.

contact@inverto.com

Katharina Erfort

ist Principal bei INVERTO in London und betreut Kunden aus der Lebensmittelbranche sowie dem Handel. Nachhaltiger Einkauf ist ein weiterer Schwerpunkt von ihr.

katharina.erfort@inverto.com