Wirtschaftswoche : Rohstoffabhängigkeit bei Gallium & Germanium

Rohstoffabhängigkeit bei Gallium und Germanium

„Käme es zu einer Verknappung, wäre die Industrie voraussichtlich arbeitsfähig“

Ab dem 1. August müssen Firmen für die Ausfuhr von Gallium- und Germanium-Produkten eine Lizenz beantragen. Die Exporteure müssen sie beim Handelsministerium beantragen, wenn sie mit dem Versand beginnen oder fortfahren wollen. Zudem müssen sie Angaben zu den ausländischen Käufern und deren Verwendungsplänen machen. Dies schürte Angst vor möglichen künftigen Export-Beschränkungen.

China ist der weltgrößte Lieferant dieser für die Herstellung von Computerchips oder Solar-Panelen notwendigen Seltenen Erden. Das chinesische Außenministerium erklärte, die Maßnahmen seien nicht gegen bestimmte Staaten gerichtet. Am Freitag sagte US-Finanzministerin Janet Yellen im Rahmen ihrer lang erwarteten Peking-Reise, der Wettbewerb zwischen den größten Volkswirtschaften sei keine „winner-take-all“-Situation – beide Seiten sollten faire Regeln folgen.

Zuvor hatten die USA unter anderem den Export von Hochleistungschips sowie von Maschinen für deren Produktion eingeschränkt. Außerdem drängen westliche Regierungen wegen Sicherheitsbedenken Telekom-Konzerne dazu, auf den Einsatz von Komponenten chinesischer Hersteller wie Huawei in ihren Mobilfunk-Netzen zu verzichten. Die aktuellen Rohstoffkontrollen sind nicht die erste Vergeltungsmaßnahme Chinas. So verbot die Regierung bestimmten Unternehmen und Organisationen den Einsatz von Chips des US-Herstellers Micron.

Peter Buchholz, Chef der Deutschen Rohstoffagentur, warnt im Gespräch mit der WirtschaftsWoche, dass es gerade bei Germanium schwierig sei, andere Quellen zu erschließen. Während Gallium sogar in Deutschland als Beiprodukt der Aluminiumproduktion gewonnen werden könnte, gäbe es bei Germanium derzeit kaum andere primäre Lieferquellen. „Bei Germanium ist man nicht so flexibel wie bei Gallium – es gibt auch mittelfristig nur wenige alternative Lieferquellen.“ Die Rohstoffagentur habe bereits seit langem darauf hingewiesen, dass bei Gallium und Germanium Beschaffungsrisiken bestehen. Die Märkte seien „hochkonzentriert“, die Industrie müsse deshalb dringend andere Lieferquellen erschließen. Beide Rohstoffe kommen in verschiedenen Branchen zum Einsatz, neben Auto und Telekommunikation beispielsweise auch in der Rüstungsindustrie. So findet sich Germanium unter anderem in Nachtsichtgeräten und generell in Glasfaserkabeln. Buchholz verweist auf staatliche Vorratshaltung, die in einigen Ländern – unter anderem den USA, Japan und Südkorea –
stattfindet und ein Vorbild für Deutschland sein könnte.

Dennoch sieht Buchholz keine akute Gefahr. „Die Unternehmen haben Lagerbestände angehäuft, um nicht unmittelbar in eine kritische Situation hineinzulaufen“, sagt der Rohstoffexperte. „Käme es zu einer Verknappung, wäre die Industrie voraussichtlich arbeitsfähig.“ Die weltweit produzierten Mengen der beiden wichtigen Rohstoffe sind gering: Gallium liege etwas über 500 Tonnen, Germanium über 200 Tonnen. Zum Vergleich: Kupfer liegt bei rund 20 Millionen Tonnen. Die wichtigsten Antworten zu den eher unbekannten Rohstoffen.

Was sind Gallium und Germanium?

Die beiden silbrig-weißen Metalle kommen in der Natur in der Regel nicht allein vor und gehören deshalb zur Kategorie „Nebenmetalle“. Sie werden in geringen Konzentrationen von Raffinerien als Nebenprodukt hergestellt. Meist sind diese auf andere, gängigere Rohstoffe wie Zink oder Tonerde spezialisiert.

Die Märkte sind im Vergleich zu anderen Rohstoffen wie Kupfer oder Öl winzig – so hatten die US-Einfuhren von Galliummetall und Galliumarsenid-Wafern im Jahr 2022 nach Regierungsangaben einen Wert von nur etwa 225 Millionen Dollar (206 Millionen Euro). Da sie jedoch in strategischen Industrien verwendet werden, könnten die Beschränkungen dennoch weitreichende Auswirkungen haben.

Wofür werden die Rohstoffe benutzt?

„Germanium wird im Wesentlichen in der Produktion von Glasfaserkabeln benötigt, aber auch in der Photovoltaik oder für optische Geräte wie Wärmebildkameras“, erklärt Justus Brinkmann, Rohstoffexperte bei der Beratung Inverto. Weitere wichtige Einsatzbereiche sind – in Verbindung mit Silizium – Computerchips sowie Transistoren, die die Akkuleistung etwa von Smartphones optimieren. Auch bei der Herstellung von PET wird Germanium verwendet.

Der Rohstoff Gallium wiederum wird in Halbleitern, in LEDs und in Permanentmagneten verwendet, die zum Beispiel in Elektroautos oder Windrädern eingesetzt werden. Auch für die Photovoltaik ist Gallium wichtig. „Alles in allem spielen beide Rohstoffe also für die Energiewende und in Zukunftstechnologien eine bedeutende Rolle“, sagt Brinkmann.

Wie wichtig ist China?

Die Handelsströme auf diesen kleinen Nischenmärkten sind schwer zu verfolgen, aber China ist die wichtigste Quelle für beide Metalle – 94 Prozent des Galliums und 83 Prozent des Germaniums stammen aus China, wie eine diesjährige Studie der Europäischen Union über kritische Rohstoffe ergab. Beide Metalle können zwar ersetzt werden, aber zu höheren Kosten und unter Umständen mit Leistungseinbußen für die Technologie, so die CRU Group, ein Anbieter von Daten und Analysen zur Metallindustrie.

Könnten andere Länder einspringen?

Keines der beiden Metalle ist besonders selten, aber die Verarbeitungskosten können hoch sein. Da China die Metalle so lange relativ billig exportiert hat, gibt es anderswo nur wenige Anlagen zu ihrer Gewinnung. Während China seine Produktion steigerte, haben andere Länder wie Deutschland und Kasachstan ihre Förderung zurückgefahren. Analysten erwarten jedoch, dass Chinas Beschränkungen die Produktion anderer Anbieter befeuern wird. Die Demokratische Republik Kongo und Russland boten sich bereits als alternative Germanium-Lieferanten an. Die beiden Staaten, die seit längerem an der Ausweitung der Rohstoff-Förderung arbeiten, wollen ihre Produktion jeweils vervielfachen.

Wo werden die Metalle sonst noch produziert?

Zu den Ländern mit Galliumproduktionskapazitäten gehören neben China auch Russland und die Ukraine, wo das Metall als Nebenprodukt von Tonerde gewonnen wird. In Südkorea und Japan fällt es als Nebenprodukt von Zink an. In Nordamerika wird Germanium zusammen mit Zink, Blei und anderen Metallen in der Trail-Hütte von Teck Resources in British Columbia gewonnen.

Zu den anderen Herstellern gehören der Spezialwerkstoffhersteller 5N Plus und die Indium Corporation in den USA. In Europa ist die belgische Umicore ein Produzent beider Metalle.Germanium und Gallium:

Gibt es Ersatz oder könnte Recycling helfen?

Grundsätzlich lassen sich beide Stoffe ersetzen, erklärt Rohstoffexperte Justus Brinkmann. Allerdings würde in der Fachliteratur immer wieder darauf hingewiesen, dass dadurch die Leitfähigkeit der Produkte sinkt. „Außerdem ist Substitution eine langfristig angelegte Strategie. Wer nicht zufällig gerade an Ersatzmaterialien geforscht hat und in der Entwicklung schon relativ weit ist, kann die beiden Halbleiter nicht so schnell gegen unkritischere Materialien austauschen.“

Auch das Recycling könnte eine wichtige Rolle spielen. Ein Teil des Angebots stammt bereits aus Fabrikschrott, während Germaniumschrott nach Angaben des USGS auch aus den Fenstern ausgemusterter Panzer und anderer Militärfahrzeuge wiedergewonnen wird.

Der belgische Spezialchemie-Konzern Umicore äußerte sich zuversichtlich, dank hoher Recycling-Quoten Germanium-Abnehmer wie bisher bedienen zu können.

Was bedeutet das für die Industrie?

Die Auswirkungen der von China angekündigten Rohstoffkontrollen sind noch schwer einzuschätzen. Weltweit suchen Unternehmen wegen der sich hochschaukelnden Konfrontation zwischen der Volksrepublik und den USA nach alternativen Bezugsquellen für wichtige Materialien, um ihre Abhängigkeit zu verringern.

Westliche Autobauer bereiten sich auf chinesische Exportbeschränkungen für Rohstoffe vor, die für die Elektromobilität und Digitalisierung wichtig sind. Volkswagen teilte auf Anfrage mit, man bewerte und überwache die Lage auf den Rohstoffmärkten umfassend, um im Bedarfsfall gemeinsam mit seinen Partnern Maßnahmen zu ergreifen. Das Ziel sei dabei stets, Auswirkungen auf das Produktionsnetzwerk so gering wie möglich zu halten. Der Konzern hob die Bedeutung kritischer Rohstoffe für die Automobilproduktion hervor, für die die chinesische Regierung ab August Exportkontrollen einführen will. So seien Gallium und Germanium wichtige Ressourcen etwa für Leuchtdioden oder Hochfrequenzanwendungen und spielten eine Rolle bei künftigen autonomen Fahrfunktionen.

BMW erklärte ebenfalls, der Konzern beobachte die Situation und stehe in engem Austausch mit Halbleiter-Lieferanten. „Derzeit gehen wir nicht von kurzfristigen Auswirkungen auf die Versorgungssituation aus“, teilten die Münchner mit.

Der europäisch-amerikanische Autobauer Stellantis warnte davor, das Engagement in der Volksrepublik zurückzufahren. „Ich bin kein Befürworter einer vollständigen Abkopplung von China“, sagte Konzernchef Carlos Tavares. Dies wäre weder realistisch noch im Interesse westlicher Unternehmen. Stellantis arbeite mit einer Reihe chinesischer Unternehmen zusammen, fügte der Stellantis-Chef hinzu. Darunter seien auch Firmen, die kritische Materialien wie Gallium und Germanium für Produkte verwendeten, die der Autokonzern bei ihnen kaufe. „Wir befinden uns nicht in einem Krieg mit irgendwelchen chinesischen Lieferanten“, betonte Tavares. Es sei Sache der Europäischen Union, mit den chinesischen Behörden zusammenzuarbeiten, um eine Lösung zu finden, sagte er.

Der weltgrößte Auftragshersteller für Chips, TSMC aus Taiwan, rechnet derzeit nicht mit direkten Auswirkungen auf seine Produktion. „Wir werden die Situation weiterhin genau beobachten“, erklärte das Unternehmen. Die in Taipeh notierten Aktien von TSMC weiteten am Donnerstag ihre Verluste aus und schlossen mit einem Minus von 2,9 Prozent. Auch der Chiphersteller NXP erklärte, er erwarte keine wesentlichen Auswirkungen auf sein Geschäft. NXP stellt Chips für die Automobil- und Kommunikationsbranche her, bei denen Gallium und Germanium verwendet wird.

Quelle: Wirtschaftswoche vom 11.07.2023

Autorin: Gelowicz, Svenja

Dokumentennummer: WW_29244068

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