Magazin 09 : Experteninterview | David Moran über ESG-Initiativen


David Moran ist ein erfahrener Supply Chain Experte, zuletzt war er zehn Jahre als Supply Chain Officer für das europäische Geschäft der Fast-Food-Kette Kentucky Fried Chicken verantwortlich.

Herr Moran, was bedeutet Nachhaltigkeit in der Lieferkette konkret?

Eine nachhaltig organisierte Lieferkette hinterlässt keinen negativen CO2-Fußabdruck. Was das aber genau bedeutet, hängt natürlich sehr vom Produkt ab. Grundsätzlich steht eine verantwortungsbewusst organisierte Lieferkette in unserem Bereich aber immer auf drei Säulen: ethische Beschaffung, ökologisch verantwortliche Beschaffung und Tierwohl.

Die Definitionen von Ethik, Ökologie und Tierwohl sind aber nicht immer trennscharf.

Die Konversationen rund um diese Themen sind unterschiedlich weit. Bei ethischer Beschaffung haben wir bereits sehr klare Definitionen. Kinderarbeit zum Beispiel ist eindeutig verboten. Bei Nachhaltigkeit wiederum stehen wir vielerorts noch am Anfang der Frage, was unter diesen Begriff fällt und was nicht.

Warum tun sich viele Firmen immer noch so schwer, Maßnahmen zu ergreifen?

In vielen Unternehmen liegt das Problem darin, dass die Geschäftsleitung das Thema delegiert. Es gibt vielleicht einen Nachhaltigkeitsbeauftragten, der aber selten auf der höchsten Ebene angesiedelt ist. Oder es wird an den Einkauf delegiert, der das in Eigenregie umsetzen muss. Das Resultat ist in beiden Fällen das Gleiche: Die Verantwortung liegt nicht bei der Führung, entsprechend gibt es dort auch niemanden, der sich das Thema zu eigen macht und vorantreibt.

Muss deswegen der Gesetzgeber einschreiten?

Er kann helfen, indem er einen klaren Rahmen an Mindestanforderungen setzt. Das zwingt Unternehmen, diese Vorgaben zu erfüllen, was oft der Einstieg in die Nachhaltigkeit ist. Das ist wichtig, denn es braucht erste kleinere Maßnahmen, um zu den wirklich einschneidenden zu kommen. Es gilt das Prinzip „Walk before you run“.

Wenn der Gesetzgeber nur das Minimum fordert, warum sollte ein Unternehmen mehr machen?

Natürlich ist es schwieriger, freiwillige Maßnahmen umzusetzen. Aber der Nutzen ist auch deutlich größer. Denn die Konsumenten sind oft viel weiter als der Gesetzgeber. Wenn Sie da nur das Nötigste machen, honorieren die Kund:innen das nur sehr bedingt. Um deren Erwartungen zu erfüllen, müssen Sie weitergehen. Das gilt vor allem für Branchen wie unsere, in denen der Endverbraucher eine große Bedeutung hat. Aber zu glauben, dass B2B-lastige Firmen sich diesem Trend entziehen könnten, wäre naiv.

Aber wie bringt der Einkauf dann Nachhaltigkeitskriterien und Kosteneffizienz zusammen?

Grundsätzlich kann der Einkauf jede Vorgabe umsetzen, sofern er einen klaren Rahmen hat. Aber es stimmt schon: Nachhaltigkeit hat einen Preis – deswegen ist es wichtig, dass es einen klaren Grund für die Entscheidung gibt und dass die Geschäftsführung klar kommuniziert, dass die Kosten zunächst zweitrangig sind.

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Wie sollten Unternehmen entscheiden, welche Maßnahmen sie angehen?

Bei der Umsetzung sind zwei Schritte wichtig. Zunächst muss bei jeder Maßnahme das „Warum“ definiert werden. Zum Beispiel: Warum stehen wir für eine Nulltoleranz in Bezug auf Kinderarbeit? Weil es sich um eine gesetzliche Vorschrift handelt, deren Nichteinhaltung einen Verstoß gegen das Gesetz und unsere Verpflichtung gegenüber den Aktionär:innen darstellen würde. Das „Warum“ brauchen wir für den zweiten Schritt.

Welcher Schritt ist das?

Jede Nachhaltigkeitsmaßnahme braucht einen Sponsor. Das sollte explizit nicht der Einkauf sein, sondern derjenige, der hinter dem „Warum“ steht. Bei der Nulltoleranz für Kinderarbeit zum Beispiel geht es um den Umgang mit den Aktionär:innen, also wäre der Finanzchef der logische Sponsor. Er hat ein klares Verständnis von den positiven Auswirkungen der Maßnahmen und er ist auch derjenige, der am meisten davon profitiert. Entsprechend wird er sie auch verteidigen, wenn es zu Konflikten kommt. Die operative Umsetzung kann er dann dem Einkauf übergeben. Denn innerhalb von klaren Vorgaben das beste Ergebnis zu erzielen, ist das, was Einkäufer:innen gut können.

Wie kommuniziert der Einkauf die neue Ausrichtung gegenüber den Lieferanten?

Am besten ganz direkt, die Lieferanten müssen klar wissen, wofür das Unternehmen steht, damit können sie dann gut arbeiten. Das gilt auch für die Priorisierung – entscheidet sich ein Unternehmen, Nachhaltigkeit an erste Stelle zu setzen und den Preis nicht mehr so stark zu fokussieren, ist das eine wichtige Information für die Lieferanten. Was da enorm hilft, ist, alle Vorgaben in einem Dokument zusammenzufassen. Das ist dann das Erste, was neue Zulieferer bekommen und dort steht alles drin, sowohl zur Qualität als auch zu unseren ESG-Kriterien. Gerade für Lieferanten außerhalb Westeuropas, die oft noch nicht so weit sind, wird dann deutlich, wie wichtig dem Einkauf die Thematik ist und an welche konkreten Regeln sie sich halten müssen.

Muss der Einkauf auch bereit sein, Teile der Lieferkette nach Westeuropa zu verlegen?

Kurzfristig kann das ein Thema werden. Aber das hat nichts mit fehlender Kontrolle über Zulieferer außerhalb Europas zu tun, dieser Kontrollverlust ist ein Mythos. Es liegt eher daran, dass die Konsument:innen dort mit ihren Ansprüchen etwas hinterherhinken. Langfristig werden sich die Ansprüche angleichen und dann werden wir auch in diesen Regionen wieder mehr einkaufen.

All das wird zu höheren Preisen führen, gerade in der Lebensmittelindustrie. Macht Ihnen das Sorgen?

Die Zahlungsbereitschaft der Konsument:innen ist gerade, wenn es um Lebensmittel geht, völlig abgekoppelt von ihren Erwartungen an die Nachhaltigkeit in Produktion und Beschaffung. Für unsere Branche ist das die größte Herausforderung der kommenden Jahre. Die Kund:innen müssen verstehen, dass es eine nachhaltige, ethische Lieferkette nur zu einem gewissen Preis gibt. Das zu vermitteln, wird eine wichtige Aufgabe für uns.

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