Jedem sollte mittlerweile klar sein, dass der Handlungsdruck bei dem Thema enorm ist und auch nicht mehr verschwinden wird.
— Marianne Kaas Fürst, Principal bei INVERTO
Im Dickicht der Krisen besteht die Gefahr, dass Unternehmen das Thema Nachhaltigkeit vernachlässigen. Dabei ist es gerade jetzt wichtig, die Transformation endlich anzugehen. Dass Handeln alternativlos ist, darüber herrscht Einigkeit, doch über das Wie wird viel diskutiert. Warum Unternehmen beim Thema Nachhaltigkeit vorangehen sollten – und warum der Einkauf dabei unverzichtbar ist.
Es ist mittlerweile schon 34 Jahre her, dass James E. Hansen, Direktor des Goddard Institute for Space Studies, vor dem Energieausschuss des US-Kongresses saß und erklärte, er sei sich zu 99 Prozent sicher, dass zuvor beobachtete Rekordtemperaturen nicht das Resultat natürlicher Schwankungen seien. Schuld sei vielmehr der menschengemachte Klimawandel, was im Umkehrschluss bedeutet: Wenn sich nichts ändert, steuert die Menschheit auf eine Katastrophe zu. Seitdem ist natürlich einiges passiert, aber die Wissenschaftsgemeinde ist sich einig: Die Menschheit tut nach wie vor zu wenig gegen die globale Erwärmung. Der Grund dafür war lange offensichtlich: So richtig merkte niemand etwas von dieser angeblich so bedrohlichen Entwicklung, die sich in der Atmosphäre aufbaute.
Mittlerweile sieht das anders aus. Naturkatastrophen und Extremwetterereignisse häufen sich zunehmend. Zwar würden seriöse Klimaforscher:innen niemals ein einzelnes Ereignis direkt mit dem Klimawandel verknüpfen. Aber die Expertinnen und Experten sind sich einig, dass dieser dazu führt, dass solche Katastrophen wahrscheinlicher werden. Zu mehr Aktivität haben diese Ereignisse aber dennoch nicht geführt. Und auch dafür ist der Grund offensichtlich: Die Menschheit hat gerade viele andere Krisen zu bewältigen und jeder weitere Punkt auf der Agenda kann schnell überfordernd wirken. Die Corona-Pandemie ist immer noch nicht vollständig ausgestanden. Russland führt Krieg in der Ukraine. Daran angeschlossen droht die Energieversorgung in Europa in Gefahr zu geraten.
Erderwärmung um 1,5 Grad Celsius |
20Us-Dollar |
---|---|
Erderwärmung um 2,5 Grad Celsius |
44US-Dollar |
Erderwärmung um 4,5 Grad Celsius |
72US-Dollar |
Gerade die Sorgen um Energie und Strom sowie anhaltende Probleme mit den Lieferketten könnten Unternehmen dazu verleiten, das Thema Nachhaltigkeit auf die lange Bank zu schieben. Allerdings sollte mittlerweile jedem klar sein, dass der Handlungsdruck enorm ist und auch nicht mehr verschwinden wird. Verstärkt wird dieser derzeit auch durch regulatorische Anreize. So hat die EU erst kürzlich die Vorlage eines Europäischen Lieferkettengesetzes verabschiedet.
Die Transformation muss daher weiter vorangetrieben werden. Gerade dem Einkauf kommt dabei eine tragende Rolle zu, schließlich ist er derjenige, der an der Schnittstelle zu Geschäftspartnern, Lieferanten und Dienstleistern sitzt – und entsprechend den größten Hebel zur Transformation hat.
Die Ergebnisse der aktuellen INVERTO-Studie zum Status des nachhaltigen Einkaufs haben zwar gezeigt, dass Firmen sich aktuell vor allem Sorgen um die Stabilität ihrer Lieferkette machen. 82 Prozent gaben an, dass dies zu den drei wichtigsten Themen in ihrem Einkauf zählt. Direkt danach folgt immerhin das Thema Nachhaltigkeit, das 62 Prozent der Befragten in ihre Top 3 aufnahmen.
In vielen Unternehmen sind mittlerweile Strukturen geschaffen, etwa Nachhaltigkeitsabteilungen und -beauftragte. Deren Aufgabe ist es, das Thema Nachhaltigkeit im Unternehmen voranzutreiben, selbst wenn andere Probleme auftreten. 93 Prozent der in unserer Studie Befragten haben bereits eine firmenweite Nachhaltigkeitsstrategie oder entwickeln diese gerade. Und immerhin 61 Prozent haben eine entsprechende Strategie für ihren Einkauf. Das ist zwar ein guter erster Schritt. Aber bei der tatsächlichen Umsetzung hapert es. Schon wenn es um den CO2-Ausstoß geht – das prominenteste Nachhaltigkeitsthema – werden die wenigsten Unternehmen konkret. Lediglich 20 Prozent haben ein festes Ziel in ihrer Strategie verankert. 44 Prozent haben überhaupt keins.
eine unternehmensweite Nachhaltigkeitsstrategie haben oder in Arbeit sind
verfügen ebenfalls über eine Nachhaltigkeitsstrategie für die Beschaffung
Es fehlen klare KPIs, sowohl unternehmensübergreifend als auch im Einkauf, um eine nachhaltige Entwicklung nachvollziehen zu können. Das mag daran liegen, dass es oft gar nicht so einfach ist, die entsprechenden KPIs wirksam zu messen, gerade wenn es um die Lieferketten geht. Hier fehlt nach wie vor oft die nötige Transparenz hinsichtlich der Produktionsprozesse und des Ressourcenverbrauchs der Lieferanten. Da aber gerade dort ein Großteil der Emissionen entsteht und sich auch andere Nachhaltigkeitsrisiken dort ballen, wird diese zwingend gebraucht, um eine realistische Strategie zu definieren und Veränderungen herbeizuführen.
Um eine unternehmensweite Nachhaltigkeitsstrategie zu schaffen, muss das Thema auf der obersten Ebene verankert werden. Und es braucht Verantwortliche, die die Umsetzung vorantreiben. Das kann zum Beispiel ein eigens hierfür bestellter Chief Sustainability Officer sein, es kann aber auch einem anderen Ressort in der Geschäftsführung zugeordnet werden. Neben der internen Organisation und Zielsetzung ist vor allem der Blick nach außen notwendig. So sollten sich die Verantwortlichen detailliert mit den Wünschen der eigenen Kund:innen auseinandersetzen. Denn nur die von Regulierungsbehörden gesetzten Zielvorgaben z. B. zur Reduktion von CO2 zu erreichen, könnte zu wenig sein. Zwar sind gesetzliche Vorgaben laut unserer Studie immer noch der wichtigste Treiber für nachhaltige Maßnahmen. Wenn die eigenen Kunden höhere Ansprüche haben (und oft haben sie das mittlerweile), muss das unbedingt in der Nachhaltigkeitsstrategie abgebildet werden. Die Folge: Es gibt neue, viel ambitioniertere Ziele für das eigene Geschäftsmodell.
Deswegen ist es wichtig, sich Zwischenziele zu setzen, Etappen, die in zwei, vier oder zehn Jahren erreicht sein sollen. So erscheint der Wandel machbarer und die hohen Erwartungen dämpfen nicht sofort jeglichen Enthusiasmus für das Thema. Diese Zwischenziele müssen aber von Anfang an den gesamten Impact des Unternehmens umfassen. Das heißt: Auch Emissionen entlang der Lieferkette müssen einbezogen werden.
Gerade bei der Definition des Ist-Zustandes haben viele Entscheider Schwierigkeiten. Bleiben wir beim Thema CO2-Emissionen: Dort ist es wichtig, eine Baseline zu definieren, also den aktuellen Wert der Emissionen. Hierzu gehören auch die Emissionen in der Lieferkette. Hierbei werden häufig die Emissionen anhand ihrer Ausgaben für Produkte (Spend-based Baseline) zugrunde gelegt. Das schafft allerdings nur den Anreiz zur Kostenreduzierung. In der INVERTO-Studie zum nachhaltigen Einkauf gaben 22 Prozent der Befragten an, dass finanzielle Aspekte der wichtigste Treiber für eine nachhaltige Transformation des Einkaufs seien. Nachhaltigkeit steht nicht – wie oft angenommen – im Zielkonflikt mit Kostenoptimierung:
Die tatsächlichen Mehrkosten eines Wandels sind meist deutlich geringer als angenommen.
Wenn aber schon die Baseline der Emissionen fehlerhaft ist, kann die Strategie keinen Bestand haben. Deutlich wirksamer sind Baselines, die auf einer Kombination aus örtlichen Begebenheiten und dem Einkaufsvolumen basieren, also zum Beispiel solche, die den Ausstoß auf Basis der Standorte der Lieferanten berechnen. Eine solche Lösung ermöglicht eine adäquatere Berechnung der Emissionen. Wenn die Strategie dann Top-down kommuniziert wird, sollten die Ziele auch für die einzelnen Abteilungen aufgeschlüsselt und klare Aufgaben verteilt werden. Für jedes Teammitglied muss klar sein, was der Ziel-Zustand ist und welche Methoden sie hierfür zur Verfügung haben, verbunden mit klaren Anreizen.
Der Einkauf wird genauso wie alle anderen Abteilungen im Idealfall Ziele mit klaren KPIs bekommen und somit Teil der Sustainability-Strategie. Da der Einkauf jedoch der Einzige ist, der auch die sogenannten Scope-3-Emissionen im Blick hat und diese senken kann, spielt er eine wesentliche Rolle.
Die Scope-3-Emissionen sind eine von drei Emissionsklassen. Scope 1 meint dabei die Emissionen, die ein Unternehmen direkt ausstößt, etwa an seinen Produktionsstandorten. Scope 2 inkludiert eigene indirekte Emissionen wie eingekauften Strom oder Gas. Scope 3 beschreibt wiederum alle weiteren indirekten Emissionen, die in der Wertschöpfungskette eines Unternehmens entstehen.
Während in vielen Rohstoff-intensiven Industrien wie der Zement- oder Stahlherstellung die Scope-1-Emissionen den größten Anteil ausmachen, entfällt in vielen Industrien, zum Beispiel im Konsumgüterbereich, der größte Anteil auf die vorgelagerten Emissionen. 80 bis 90 Prozent der Firmenemissionen können auf Scope 3 entfallen. Heißt: Ohne den Einkauf kann sich ein Unternehmen noch so sehr bemühen, es wird seine Emissionen nicht signifikant senken können. Viele Unternehmen haben das bereits erkannt. In unserer Studie gaben mehr als 50 Prozent an, dass der Einkauf gut oder sogar sehr gut mit der Nachhaltigkeitsstrategie in Einklang steht.
Weil der Einkauf den Großteil der Emissionen beeinflussen kann, hat er aber auch die schwierigste Aufgabe, wenn es darum geht, Transparenz herzustellen. In der heutigen Welt mit komplexen Lieferketten ist das eine Mammutaufgabe. Daher ist es sinnvoll, zu priorisieren und Zwischenschritte einzuplanen. Am wichtigsten ist es, die Emissionen pro Kategorie und pro Lieferant zu ermitteln, um zu beurteilen, welche Lieferanten und Kategorien am kritischsten sind. Auf dieser Grundlage sollten die Unternehmen prüfen, wo sie bei der Innovation eng mit den Lieferanten zusammenarbeiten müssen und wo diese die Kategorie selbst umgestalten können.
Dabei ist es ausgesprochen wichtig, in einem partnerschaftlichen Verhältnis mit den Lieferanten zu arbeiten. Ein offener Austausch mit Schlüsselpartnern hilft enorm dabei, die Maßnahmen voranzutreiben und Ziele gemeinsam zu erreichen. Die Lieferanten sollten dabei nach Möglichkeit selbst den Nutzen der Maßnahmen verstehen. Wenn sie für sich selbst einen Vorteil im Wandel sehen, sind sie eher bereit einzusteigen, als wenn sie das Thema nur als nervige Pflicht betrachten, um dem Code of Conduct des Kunden gerecht zu werden. Preisargumente sind dafür immer hilfreich. So ist zum Beispiel die Gewinnung regenerativer Energie über die Installation eigener Solarpanelen eine Alternative zu eingekauftem Strom. Die dafür benötigten Investitionen können mit zinsgünstigen ESG-Darlehen bereitgestellt werden.
Unternehmen, die sich auf einen nachhaltigen Einkauf konzentrieren, gewinnen an Attraktivität für Mitarbeiter:innen, Investoren und Kunden.
Ohne den Einkauf kann sich ein Unternehmen noch so sehr bemühen, es wird seine Emissionen nicht signifikant senken können.
Emissionen aus beschafften Produkten, Transport von Lieferungen, Geschäftsreisen
Emissionen aus Tätigkeiten unter der Kontrolle des Unternehmens, einschließlich der Verbrennung von Treibstoffen vor Ort
Emissionen aus der Nutzung von Strom, Dampf, Wärme und/oder Kälte, die von Dritten bezogen werden
Emissionen aus dem Transport von Produkten, Verwendung von verkauften Produkten, Produktentsorgung
Intern ist vor allem wichtig, die gesamte Organisation einzubinden. Hierfür müssen KPIs in die Einkaufsstrategie eingebunden werden. Nachhaltigkeitsziele wie die CO2-Emissions-reduktion sollten auf einer Stufe mit anderen Zielen stehen, etwa der Kosteneffizienz und der Lieferkettenstabilität. Etablierte KPIs sind zum Beispiel Energieverbrauch, Müllaufkommen oder die Recyclingquote bei den hergestellten Produkten und Rohmaterialien.
Damit können Unternehmen sicherstellen, dass die Nachhaltigkeit nicht in den Hintergrund rückt, sobald sich die Weltlage etwas eintrübt. Je tiefer Sustainability in den Strukturen einer Firma verankert ist, desto eher wird sie diese Ziele erreichen.
So wirksam der Top-down-Ansatz für die Implementierung einer Nachhaltigkeitsstrategie ist: Ohne das Engagement des Mitarbeitenden wird diese nicht zum Erfolg führen. Einkaufsleiter:innen sind zwar dafür verantwortlich, die Strategie aufzusetzen und anzuschieben. Wirksam umsetzen können sie diese aber nur mithilfe der Mitarbeitenden. Diese mit an Bord zu nehmen und auch motiviert zu halten, ist eine wichtige Mission, an der sich Erfolg und Misserfolg entscheiden.
Die Mitarbeitenden müssen wissen, was das Unternehmen als nachhaltig definiert und was sie ganz persönlich dazu beitragen können und sollen. Zudem sollte das Erreichen von Nachhaltigkeitszielen auch mit Boni verknüpft werden, ein System, das bei anderen KPIs bereits gut funktioniert. Hier gibt es in vielen Unternehmen noch Nachholbedarf.
41 Prozent der Studienteilnehmenden gaben an, dass es bei Nachhaltigkeitsanreizen noch Verbesserungspotenzial gebe.
Den Fortschritt der Nachhaltigkeitsmaßnahmen in der Lieferkette sollten Unternehmen eng überwachen und begleiten, um das Erreichen der festgelegten Zwischenziele zu überprüfen. Gerade diese Aufgabe ist sehr komplex, wenn Unternehmen dies aus eigener Kraft angehen. Es gibt bereits etablierte NGOs und Prüfungsgesellschaften, die dabei unterstützen, wirksame Überwachungsmechanismen zu schaffen, und entsprechende Schulungen anbieten. Diese bringen auch Expertise mit, die sich in der eigenen Organisation nicht kurzfristig aufbauen lässt. Bis also die eigenen Mitarbeitenden befähigt sind, die Nachhaltigkeitsfortschritte selbst wirksam zu überwachen, können externe Partner als Beschleuniger fungieren. Auch danach sind sie ein nützlicher Sparringspartner, der einen Blick von außen einbringen kann.
Unternehmen sollten zudem auf technologische Hilfsmittel setzen. Dank des Fortschritts im KI-Bereich sind mit digitalem Zwilling oder Blockchain-Anwendungen Produktionsprozesse und ihre Auswirkungen – etwa CO2-Emissionen – durchgängig zu tracken. Gute Algorithmen erkennen Fehler oder Abweichungen im Zweifel sogar besser als der Mensch. Erste Unternehmen arbeiten auch an Technologien, um Lieferantenaudits aus der Distanz durchzuführen. All dies macht es den Mitarbeitenden deutlich einfacher, sich auf die strategischen Fragen zu konzentrieren, da sie nicht mehr viel Zeit damit verbringen müssen, die Umsetzung einmal getroffener Entscheidungen stetig zu kontrollieren.
Manish Bhasin ist Global Head of Sustainable Procurement bei A.P. Moller Maersk und verantwortlich für die globale Sustainable Procurement Strategie. Zudem leitet er als Managing Director die Einkaufsunit des Logistikdienstleisters in Mumbai, mit 300 Mitarbeiter:innen die größte Einkaufsabteilung bei Maersk.
Ohne die Logistikbranche würde unsere Weltwirtschaft nicht funktionieren – gleichzeitig ist sie ein Motor des Klimawandels. Was tut Maersk, um nachhaltiger zu werden?
Maersk ist sich seiner Rolle durchaus bewusst und hat seine Nachhaltigkeitsinitiativen schon früh gestartet – wir sind stolz darauf, zu den First Movern in der Logistikindustrie zu gehören. Konkret haben wir damit begonnen, eine unternehmensweite Nachhaltigkeitsstrategie zu definieren. Diese ist bei uns auf der Managementebene verankert und wurde im Anschluss in verschiedenen Workstreams mit konkreten Maßnahmen hinterlegt.
Welche Rolle spielt der Einkauf bei der Transformation?
Das Thema Sustainable Procurement ist Teil des Workstreams ESG, tatsächlich sind wir aber auch in die anderen Workstreams eng eingebunden. In crossfunktionalen Teams unterstützen wir da zum Beispiel bei Pilotprojekten im Bereich der CO2-Reduktion sowie im Bereich Menschenrechte. Denn letztlich lässt sich kaum eine Initiative ohne unsere Lieferanten umsetzen.
Gerade in der Supply Chain gibt es sehr viele Stellschrauben. Wie haben Sie Ihre eigenen Initiativen gestartet?
Indem wir einen detaillierten Umsetzungsplan erarbeitet haben – wir haben die Ziele für die nächsten fünf Jahre auf unsere Geschäftsbereiche heruntergebrochen und mit konkreten Maßnahmenpaketen hinterlegt. Dazu gehörte auch, eine Organisationsstruktur zu erarbeiten, in der wir das Thema schlagkräftig angehen können.
Am Anfang der Umsetzungsphase stand dann viel Papierarbeit an. Wir haben den aktuellen Status erfasst, in einer großen weltweiten Organisation ist das schon eine große Herausforderung. So mussten zum Beispiel Verträge mit Lieferanten geprüft, die Struktur unseres Lieferantenpools analysiert und länderspezifische Anforderungen erfasst werden. Auf dieser Basis haben wir dann zunächst dafür gesorgt, dass wir allen erforderlichen Compliance-Regeln und Sicherheitsanforderungen gerecht werden.
Im nächsten Schritt, mit dem wir gerade starten, geht es dann um konkrete strategische Themen, wie die Reduzierung der Scope-3- Emissionen im Bereich Transport, die aktive Verbesserung der Sicherheitsbedingungen beim Verladen und die Umsetzung von Menschenrechtsbestimmungen in Entwicklungsländern, die über gesetzliche Anforderungen hinausgehen. In dieser Phase arbeiten wir sehr eng mit unseren Lieferanten zusammen.
Können Sie uns da mal einen Einblick in die Praxis geben? Muss Ihr Team da viel Überzeugungsarbeit leisten?
Nein, eigentlich mussten wir nicht viel Überzeugungsarbeit leisten, denn letztendlich sitzen wir alle im selben Boot. Ich glaube, es gibt heutzutage kaum noch Unternehmen, denen die Dringlichkeit nicht bewusst ist. Unter unseren Kernlieferanten haben wir einige große Konzerne, auch die haben inzwischen oft dedizierte Nachhaltigkeits-Beauftragte. Wir und unsere Lieferanten verfolgen also in der Regel dieselben Ziele, nur die Bedürfnisse unterscheiden sich voneinander. Diese zu verstehen und darauf einzugehen, ist ein wichtiger Teil unserer Transformation. Es geht nicht darum, die eigenen Bedürfnisse schnell durchzusetzen, sondern gemeinsam mit den Lieferanten die besten Lösungen zu erarbeiten.
So gibt es einige Lieferanten, die in ihrer eigenen Nachhaltigkeitsagenda noch relativ am Anfang stehen und die oft nicht über entsprechende Ressourcen verfügen. Diese unterstützen wir dabei, gesetzliche Regularien zu erfüllen, zielgerichtete Verbesserungspläne zu entwerfen und Meilensteine zu setzen.
Andere wiederum sind schon sehr weit und übererfüllen bereits alle Bedingungen unseres Code of Conduct. Mit diesen Lieferanten diskutieren wir weitergehende Verbesserungsmöglichkeiten. Hierfür haben wir auch unser Gesamtkostenmodell angepasst und um ESG-Kriterien erweitert. Mit dieser Grundlage gehen unsere Category Manager nun in ihre Verhandlungen. In diesen Verhandlungen geht es aber auch oft um Trade-offs, wir müssen kompromissbereit bleiben. Manchmal geht mehr Nachhaltigkeit eben mit Kosten einher, manchmal ist es aber auch umgekehrt. Wir versuchen immer mit unseren Lieferanten gemeinsame Ziele zu definieren und darüber Win-win-Situationen für beide Seiten zu schaffen.
Hierdurch haben sich die Anforderungen an Ihr Team doch sicher deutlich verändert – wie schaffen Sie es, dass alle Ihre Mitarbeiter:innen mitziehen?
Es braucht eine starke Führung, die dahintersteht – die Botschaft unseres Managements ist da sehr deutlich: Nachhaltigkeit hat oberste Priorität. Das heißt aber nicht, dass die gesamte Transformation rein Top-down erfolgen sollte. Uns war es sehr wichtig, im Prozess der Strategieentwicklung die Stimme eines jeden zu hören und alle in den Prozess einzubinden, damit Nachhaltigkeit auch ein echter Bestandteil unserer Firmenkultur wird. Stakeholder-Management ist ganz entscheidend für den Erfolg.
Hierzu gehört auch, die Strategie für jeden zugänglich zu machen. Jeder muss verstehen, was seine persönliche Verantwortung im Prozess ist und wie diese erfüllt werden kann. Durch die Festlegung von Meilensteinen, deren Erreichen dann entsprechend gewürdigt wird, zeigen wir zudem, wie wichtig uns dieses Thema ist, und sorgen dafür, dass alle dran bleiben.
Was waren die größten Herausforderungen auf dem Weg dorthin?
Guter Punkt, tatsächlich ist ein Transformationsprozess in dieser Größenordnung gar nicht so einfach, wie es klingt. Wir haben es bei Maersk mit einer sehr komplexen Organisation zu tun. Wir sind weltweit in sehr unterschiedlichen Ländern tätig. Zudem haben wir als integrierter Logistikdienstleister diverse Geschäftsbereiche und Branchenspezifikationen einzubeziehen. Hier alle Interessen zu berücksichtigen, ist eine Mammutaufgabe. Deshalb haben wir das Programm auch so langfristig angelegt und sehr strukturierte Prozesse für unsere Maßnahmenpläne definiert. In Indien gibt es das Sprichwort „You can’t carve the elephant in one go“ – wichtig ist vor allem, immer dran zu bleiben und einen Schritt nach dem anderen zu gehen.
In der Umsetzung lag die größte Herausforderung in der Datentransparenz. Um einen Überblick über alle weltweiten Einkaufsdaten zu erhalten, ist es erforderlich, eine starke digitale Plattform zu entwickeln. Hier sind wir noch in einem Anfangsstadium. Langfristig möchten wir daran dann auch unsere Lieferanten anschließen.
Um ein Transformationsprojekt dieser Größenordnung erfolgreich durchzuführen, wo finden Sie Ihre Motivation?
Der Grund, warum ich mich für diesen Schwerpunkt entschieden habe, war die Frage: Was für einen Planeten hinterlassen wir unseren Kindern? Das war damals tatsächlich kein Teil meiner eigenen Karriereentwicklung, sondern die Perspektive hat mich wirklich bewegt. Und dass ich diese Leidenschaft auch bei meinen Ansprechpartnern in anderen Organisationen immer wieder spüre, stimmt mich sehr positiv. Der Kampf gegen den Klimawandel ist wahrscheinlich der komplexeste, den die Menschheit je geführt hat, aber ich glaube, dass wir Wege finden werden.
Thomas Udesen ist CPO bei Bayer. Im Interview spricht er über Veränderungen im Procurement, wie sich ein Life-Science-Unternehmen mit Kernkompetenzen auf den Gebieten Gesundheit und Agrarwirtschaft nachhaltig aufstellt – und warum er sich dafür sogar mit der Konkurrenz zusammentut.
Herr Udesen, wenn Sie auf den aktuellen Stand der Nachhaltigkeit in Unternehmen schauen. Was fällt Ihnen auf?
Es gibt zwei sehr verschiedene Gruppen von Unternehmen. Sie bewerten die Bedeutung von nachhaltigem Einkauf vollkommen unterschiedlich. Die erste Gruppe verweigert sich dem Thema. Sie fährt einen defensiven Ansatz, in dem Nachhaltigkeit immer nur ein nachgeordneter Gedanke ist. Regularien oder Maßnahmen verzögern sie, so gut es geht, und betreiben allerhöchstens ein Minimum an Aufwand – und das meist nur, um nicht erwischt zu werden. Bei diesen Unternehmen geht es nicht um langfristige Planung und eine bessere Zukunft, sondern um kurzfristiges Interesse finanzieller Natur. Die großen Themen wie den Klimawandel oder die Ungleichheit überlassen sie anderen – und der nächsten Generation.
Und wie charakterisieren Sie die zweite Gruppe?
Das sind die Unternehmen, die verstanden haben, wie wichtig das Thema ist und wie wichtig es auch noch werden wird. Sie haben begriffen, dass es eine entscheidende Rolle spielen wird, um auch in Zukunft weiter am Markt erfolgreich sein zu können. Sie haben darüber hinaus erkannt, dass die nachhaltige Beschaffung das mit Abstand wichtigste Instrument ist, um Produkte zu verbessern, Innovationen voranzutreiben oder auch Menschenrechte zu schützen.
Zu welcher Gruppe zählen Sie sich?
Wir zählen uns bei Bayer schon immer zur zweiten Gruppe. Wir haben das so tief in unserer DNA, dass wir sogar unsere Bonuszahlungen nicht mehr nur abhängig von finanziellen Ergebnissen erhalten, sondern auch von Nachhaltigkeitszielen. Wir sind zudem eines der ersten Unternehmen, dass sich dem UN Global Compact angeschlossen hat und ermutigen auch unsere Lieferanten dazu.
Wie machen Sie das?
Wir gehen immer nach einem ähnlichen Muster vor: „Verpflichten, Handeln und Offenlegen“. Verpflichten bedeutet, dass man das Thema in seine Agenda und Strategie aufnimmt und sich beispielsweise Fragen stellt wie: Wie steht es um Menschenrechte in der Lieferkette? Dann geht es darum, die Themen umzusetzen und dafür ausreichend Ressourcen zur Verfügung zu stellen und die entsprechende Aufsicht zu gewährleisten. Der letzte Schritt ist dann noch die Offenlegung, beispielsweise in Geschäftsberichten.
Warum sollte ein Lieferant die vermutlich hohen Kosten für eine Umsetzung in Kauf nehmen?
Wer sehr hohe Standards erfüllt, hat bei uns ganz andere Privilegien und das machen wir auch sehr klar. Wobei ich sagen muss: Uns geht es nicht darum, nur mit perfekt nachhaltigen Unternehmen zu arbeiten, sondern die Dinge bei jedem Zulieferer individuell zu verbessern. Nur mit Lieferanten, die dauerhaft keine Initiative in diese Richtung zeigen, können wir nicht mehr zusammenarbeiten. Das ist schade, aber unvermeidlich. Und diese Regeln gelten übrigens auch für alle Mitglieder der Vereinigung TFS (Together for Sustainability), deren Gründungsmitglied wir sind. Das ist sehr hilfreich, da so mehr Unternehmen die gleichen Standards verfolgen.
Was können wir uns unter TFS vorstellen?
TFS ist die wichtigste Initiative für nachhaltige Standards in der chemischen Industrie. Wir haben TFS im Jahr 2011 gestartet, damals waren wir sechs Gründungsmitglieder, neben Bayer unter anderem BASF und Solvay. Jeder von uns stellte bis dahin Standards an die Industrie, die sich nur leicht voneinander unterschieden. Unsere oft gleichen Lieferanten beschwerten sich deshalb zurecht, dass sie den ganzen Tag nur Fragebögen zur Nachhaltigkeit ausfüllen müssten, aber gar nicht dazu kämen, endlich zu handeln und sich zu verbessern. Wir haben also beschlossen, gemeinsame Standards, z. B. für Codes of Conduct und Audits zu schaffen. Wir haben derzeit 42 Mitglieder mit einem Umsatz von weit über 500 Milliarden Euro, mehr als 1.000 Audits und 14.000 laufende Bewertungen. Das Wichtigste: Wir haben einen Standard für die Ermittlung eines CO2-Fußabdrucks in der Chemie auf den Weg gebracht. Das erinnert mich an ein afrikanisches Sprichwort: Wenn du schnell gehen willst, dann gehe alleine. Wenn du weit gehen willst, dann musst du mit anderen zusammen gehen. Und wir wollen noch sehr weit gehen.
Stichwort gemeinsam. Sie haben auch die Initiative Sustainable Procurement Pledge (SPP) ins Leben gerufen. Wie kam es dazu?
Wir haben bei TFS gemerkt, wie gut Kooperation funktioniert, wie wichtig eine enge Zusammenarbeit ist und welche Wirkung das haben kann. Daraus ist 2019 die Idee für SPP entstanden. Zusammen mit Bertrand Conqueret, CPO von Henkel, habe ich SPP mitgegründet. Es ist eine eingetragene und unabhängige, gemeinnützige Organisation (gGmbH) mit eigenen Trägern. Wir haben das Glück, dass sich auch Bayer entschieden hat, „Champion“ zu werden, und uns finanziell unterstützt. Damals waren überall Klimastreiks und bei mir keimte die Frage auf: Wie kann es sein, dass wir Menschen, die wir so viel erreicht haben, dabei sind, den Planeten zu zerstören? Eigentlich ist es ein Szenario, das jeder vermeiden möchte. Und das Schöne ist: Wir im Einkauf haben einen extrem großen Hebel dafür. Es gibt allein eine Million Menschen, die in unserem Bereich arbeiten, eine Million Menschen, die jedes Jahr mehr als zehn Billionen Euro ausgeben und Zugang zu quasi jedem Markt haben. Wenn wir uns also zusammenschließen, so die Idee, können wir es schaffen, alle Lieferketten bis 2030 so zu verändern, dass sie den Zielen der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung (SDGs) entsprechen. Bisher sind wir auf gutem Wege und haben 10.000 Botschafter aus 145 Ländern gefunden.
Wo sehen Sie den Fokus für das Projekt?
Wir wollen Wissen schaffen und kostenlos weitergeben. Bisher sind wir eine ehrenamtliche Gemeinschaft, die nun eine erste Geschäftsführung bekommt. Sie soll dann eine digitale Plattform ausbauen, über die wir Wissen zu oft sehr spezifischen Fragen im Bereich Nachhaltigkeit und Sustainable Procurement vermitteln. Langfristig wollen wir, dass man in unserem Fachbereich sagt: Man googelt nicht, man SPPet es.
Nicht nur Unternehmen preschen voran, sondern auch die Regulatoren. Die EU will bestimmte Chemieprodukte verbieten. Was halten Sie davon?
Ich denke, es ist meistens hilfreich. Die Verbesserung des Rechtsrahmens kommt uns als Unternehmen zugute, vor allen Dingen, weil wir vielen Regularien schon längst voraus sind. Wichtig ist, dass wir uns bei den Vorschriften auf wissenschaftliche Fakten und nicht auf Emotionen stützen. Dann sehe ich darin die große Chance, dass wir bessere, nachhaltigere Produkte bekommen, die uns als Gesellschaft weiterbringen. Dabei wird auch der Einkauf eine zentrale Rolle spielen.
Sie sind seit vielen Jahren im Procurement tätig. Was sind für Sie die größten Veränderungen?
Es gab vier maßgebliche Veränderungen. Zunächst einmal hat sich der Einkauf zu einer zentralen Rolle der Orchestrierung entwickelt, intern wie auch extern. Dazu hat er in den vergangenen Jahren immer mehr Vertrauen gewonnen und geht heute viel strategischer vor als noch vor ein paar Jahren. Die dritte Veränderung ist die Ergänzung der Kompetenzprofile: Viele Mitarbeitende, die nicht originär aus dem Einkauf kommen, sind zu uns gestoßen und haben uns durch ihre Erfahrung bereichert. Die vierte große Veränderung ist der Einsatz neuer Technologien, die es uns ermöglichen, Dinge einfacher und effizienter zu erledigen.
Hilft diese Veränderung bei einer nachhaltigen Transformation?
Auf jeden Fall. Start-ups haben es geschafft, ganz neue Technologien zu entwickeln und eine heterogene Tech-Landschaft zu entwickeln, die traditionelle Sichtweisen verändert und uns ganz neue Perspektiven ermöglicht. In den Bereichen der Transparenz und der Risikoanalyse sind neue Instrumente dazu gekommen, die weit über den Einkauf hinaus in die Unternehmen strahlen. Deswegen muss man sagen: Natürlich hat uns die Technologie geholfen. Am Ende aber kann sie allein keine Transformation voranbringen. Dafür braucht es Menschen – und am besten jeden einzelnen von uns. Uns bei Bayer gibt es seit mehr als 150 Jahren. Ich will, dass wir weitere 150 Jahre erfolgreich sind und gerne auch länger.
Vielen Dank für das Gespräch. //
Quantis ist das jüngste Mitglied der BCG-Familie und ein international tätiges Beratungsunternehmen für unternehmerische Nachhaltigkeit, das führende Unternehmen bei der Transformation unterstützt, ihr Business zukunftssicher und erfolgreich innerhalb planetarer Grenzen zu gestalten. Als Global Organizational Change Lead berät Cordula Richter Unternehmen bei der Umsetzung von Nachhaltigkeitsstrategien – im Interview erläutert sie, dass es höchste Zeit ist, das Thema Sustainability im Unternehmen nicht nur technisch, sondern vor allem strategisch und kulturell zu betrachten.
Quantis – das sind die Expert:innen für Sustainability. Wie kann ich mir ein typisches Projekt vorstellen?
Das typische Projekt gibt es nicht – denn was wir mit unseren Kunden bewegen, ist immer von deren individueller Situation und dem Reifegrad der Nachhaltigkeitsstrategie im Unternehmen abhängig. Unser Team von Fachleuten entwickelt innovative Lösungen auf der Grundlage neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse und eines tiefgehenden unternehmerischen Verständnisses. Um die auf die Kundensituation passenden Maßnahmen zu entwickeln, gliedern wir unsere Beratungsleistung in die Arbeitsphasen „Assess“, „Plan“ und „Transform“. Im ersten Schritt erfassen wir den Fußabdruck des Unternehmens und schaffen größtmögliche Transparenz über alle Nachhaltigkeitsfaktoren, die im individuellen Fall relevant sind. Dabei geht es nicht nur um die Betrachtung von Treibhausgas-Emissionen, sondern auch um andere Dimensionen wie z. B. Biodiversität und Wasser. Um die Auswirkung von Maßnahmen zu simulieren und die Erkenntnisse im Unternehmen für Stakeholder digital zugänglich zu machen, nutzen wir z. B. das eQoinsight Tool. Es ermöglicht, die Unternehmenskennzahlen mit wissenschaftsbasierten Daten abzugleichen, Hotspots zu erfassen und Prioritäten für die nächsten Handlungsschritte zu setzen. Für eine anschließende Transformation ist hierbei entscheidend, dass das Assessment neben technischen Daten auch das aktuelle Wahrnehmungs- und Wissenslevel zum Thema Sustainability der Führungsebene sowie der Mitarbeiter:innen beinhaltet und dessen Einbettung in die Unternehmensstrategie, in Governancestrukturen und KPIs.
Wenn diese Hürde genommen ist, wie geht es dann im zweiten Schritt weiter?
Die Ergebnisse der ersten Phase nutzen wir, um den Kunden, aber auch mögliche Stakeholder für ihre Verantwortung zu sensibilisieren und aufzuzeigen, welchen Einfluss Veränderungen haben können. Auf dieser Basis entwickeln wir dann gemeinsam mit dem Kunden in der Phase ,,Plan’’ ein realistisches Zielbild für das Unternehmen, an dem sich die Roadmap orientiert. Darin wiederum definieren wir alle konkreten Einzelmaßnahmen, den Zeithorizont sowie einzelne Zwischenziele. Wichtig hierbei ist es, dass wir auch die Rollen und Verantwortlichkeiten aller Beteiligten beschreiben, vor allem für die Geschäftsführung.
Welche Rolle sollte diese im Transformationsprozess einnehmen?
Das Management muss in der Transformation als Vorbild agieren, die Teams eng begleiten und immer wieder für Nachhaltigkeitsthemen sensibilisieren. Damit es das glaubwürdig tun kann, muss Sustainability nicht nur als einzelne Initiative betrachtet, sondern fest im Geschäftsmodell des Unternehmens verankert werden. Die Geschäftsführung muss sich nicht nur die Frage nach dem Zielbild stellen und ein Governance-Model entwerfen, sondern danach, was konkret Nachhaltigkeit für das Unternehmen, aber auch für jeden Einzelnen bedeutet. Was sind die Leitplanken, an denen wir uns orientieren? Und welche Trade-offs lassen wir als Geschäftsführung zu? Das Ziel ist eine umweltbewusste Unternehmensführung innerhalb der planetaren Grenzen.
Was sind in der dritten Phase, der konkreten Umsetzung, die Erfolgsfaktoren?
In der Phase ,,Transform“ unterstützen wir Unternehmen bei den individuellen Maßnahmen, die für eine erfolgreiche Umsetzung der Roadmap definiert wurden. Ein wesentlicher Faktor in diesem Prozess ist das Thema Organisationsentwicklung. Gerade bei sehr komplexen Themen ist es wichtig, auch die Change Journey im Detail zu planen und durch geeignete Maßnahmen zu begleiten. Wenn Unternehmen ihre Nachhaltigkeitsziele erreichen möchten, ist eine Transformation der Unternehmenskultur unerlässlich. Es müssen neue Zielbilder geschaffen und alle Mitarbeiter:innen frühzeitig eingebunden werden. Jede:r im Team sollte für sich die Frage „Was muss ich ab morgen anders machen?“ beantworten können.
Kommunikation ist dabei das A und O und das wichtigste Instrument des Managements. Um alle Mitarbeiter:innen abzuholen, muss auch deren individuelle Situation in die Betrachtung mit einfließen. Hierfür hilft es, mit Personas-Modellen zu arbeiten – so kann das Management verstehen, wie es einzelne Mitarbeitende am besten motivieren kann, und es schafft, dass alle an einem Strang ziehen. Wie auch die INVERTO-Studie zeigt, gehören fehlendes Wissen und Expertise zu den drei größten Herausforderungen bei der internen Umsetzung von Nachhaltigkeitsstrategien.
Hilfreich können zum Beispiel gemeinsame Visionen, Weiterbildungsmöglichkeiten für die Teams, aber auch klare Incentives sein. Habe ich die Kulturtransformation in meinem Unternehmen geschafft, geht das Thema Nachhaltigkeit automatisch ins Daily Business über und erzeugt quasi einen Domino-Effekt, der sich auch auf meine Stakeholder und Lieferketten auswirkt.
Nehmen wir mal als Beispiel das Ziel CO2-Reduktion. Wie sieht das weitere Vorgehen im Unternehmen konkret aus?
In der Regel macht es Sinn, sich erstmal um sich selbst zu kümmern und die Scope-1- und Scope-2-Emissionen zu reduzieren. Denn das haben die Unternehmen selbst in der Hand, es ist konkret planbar und sorgt auch im Rahmen der Organisationstransformation für erste Erfolgserlebnisse. Die Reduzierung des Scope 3 ist wesentlich komplexer und in vielen Unternehmen und ihren Lieferketten fehlt es an Transparenz. Doch die Lieferkette ist in der Gesamtbetrachtung meist die größte Quelle für Umweltauswirkungen.
Genauso wie der Reifegrad des eigenen Unternehmens bestimmt wurde, ist es nun die Aufgabe, mit den Schlüssellieferanten zum Thema Nachhaltigkeit zu kommunizieren und deren Reifegrad in der Sustainability Transformation Journey einzuschätzen. Denn an diesem richtet sich die individuelle Strategie aus. Auch in der Zusammenarbeit mit den Lieferanten sind unterstützende Kommunikation und Schulung das Mittel der Wahl. Einkäufer:innen sollten zwar auf der einen Seite klare Richtlinien vorgeben, auf der anderen Seite aber als Kooperationspartner mit den Lieferanten an einem gemeinsamen Ziel arbeiten. Hierfür können Trade-offs und Hilfestellungen nötig sein, je nach Situation des Lieferanten.
Welche Faktoren sind aus deiner Sicht wichtig, damit die Unternehmen die Nachhaltigkeitstransformation schaffen?
Die Einbettung von Nachhaltigkeit in die Unternehmensstrategie und -kultur ist, wie bereits erwähnt, der wichtigste Aspekt, den Unternehmen schaffen müssen, denn diese ist der Dreh- und Angelpunkt für echte Transformation, um innerhalb der planetaren Grenzen zu wirtschaften. Viele Unternehmen betrachten das Thema Sustainability derzeit noch sehr technisch und als einen von vielen Punkten auf der Agenda. Ähnlich wie bei der digitalen Transformation, wo die Unternehmen schon einen Schritt weiter sind, muss Nachhaltigkeit selbstverständlich in die Unternehmensstrategie und Geschäftsmodelle integriert werden. Es muss vom „Nice to have“ zum „Must have“ werden. Nur so sind Unternehmen auch zukunftsfähig.
Wichtig ist aber auch, dass die Transformation zu mehr Nachhaltigkeit nicht in ein paar Jahren abgeschlossen sein kann. Unternehmen müssen sich ständig weiterentwickeln. Sind die ersten Ziele zum Beispiel in Bezug auf Emissionsreduktion erreicht, treten neue Fragen in den Vordergrund. Beispiel hierfür ist das Thema Kreislaufwirtschaft und Fragen wie „Wie schaffe ich es als Unternehmen, mit den Ressourcen, die ich habe, so umzugehen, dass ich wachsen kann, ohne den Planeten weiter auszubeuten?“ rücken in den Vordergrund. Letztlich geht es um nicht weniger als die Verantwortung als Menschheit, weiter auf unserem Planeten existieren zu können und es kein Entweder-oder für Umweltschutz oder Wirtschaft mehr gibt. //
Dr. Dirk C. Gratzel hat sich als erster Mensch seine Ökobilanz bis auf den letzten Cent ausrechnen lassen und will seine Umweltkosten bis zu seinem Lebensende komplett auf Null bringen. Mit seinem Firmenverbund GREENZERO möchte er Unternehmen dazu bringen, es ihm nachzumachen. Im Interview spricht er über das Dilemma vom ökonomischen Erfolg durch Verschleiß der Umwelt – und wo Führungskräfte anfangen sollten mit der nachhaltigen Transformation.
Herr Gratzel, Sie haben sich Ihre eigene Ökobilanz ausrechnen lassen. Was kam dabei heraus?
Ich bin früher als Unternehmer viel gereist, insbesondere geflogen, und hatte einen opulenten Konsum und Lebensstil. Dieser Lebensstil forderte seinen Tribut an die Umwelt, den ich nicht länger tragen wollte. Daher habe ich mir zunächst meine persönliche, lebensbezogene Ökobilanz von den Wissenschaftler:innen der TU Berlin erstellen lassen. Zu ihr gehören CO2-Emissionen, aber auch andere ökologische Dimensionen wie Versauerung, Eutrophierung, Toxizität, Wasserfußabdruck und die stratosphärische Beeinträchtigung der Ozonschicht. Denn nur über die komplette Ökobilanz in sämtlichen Wirkungskategorien erhielt ich ein vollständiges Bild aller von mir zu verantwortenden Umweltschäden. Um aber mal bei den CO2-Emissionen zu bleiben, weil die sehr greifbar sind: Ich verursachte in meinen bis dahin rund 50 Lebensjahren mehr als 1.100 Tonnen CO2 und somit ein Vielfaches von dem, was ein Mensch durchschnittlich verursachen sollte, wenn wir das 2-Grad-Ziel der Klimaerwärmung halten wollen. Das wären nämlich nur zwei Tonnen pro Mensch pro Jahr, bei mir waren es seinerzeit fast 28 Tonnen pro Jahr.
Was hat dieses Ergebnis mit Ihnen gemacht?
Ich wusste: Das darf so nicht weitergehen. Ich habe mit Umweltorganisationen wie dem NABU oder dem WWF diskutiert, wie ich meinen Fußabdruck verkleinern kann. Wir haben 60 Maßnahmen gefunden, angefangen bei der Sanierung meines Hauses übers Zugfahren statt Fliegen, Konsumveränderungen und veganer Ernährung. Neue Kleidung kaufe ich etwa seither nur noch, wenn ich sie wirklich benötige, Milchprodukte sind vom Speiseplan weitgehend verschwunden. So konnte ich meinen Fußabdruck auf sechs bis sieben Tonnen Co2 pro Jahr reduzieren – gut, aber für eine ausgeglichene Umweltbilanz beileibe noch nicht gut genug. Also habe ich überlegt: Wie kann ich die sechs Tonnen je Jahr kompensieren – und wie die angehäuften Umweltkosten, die ich bis dato bereits verursacht hatte? Das war komplex. Ich habe mir ausrechnen lassen, wie hoch meine sogenannten Umweltkosten, also die in Geld bezifferten Umweltschäden meiner bisherigen Existenz sind. Für diese „Monetarisierung“ von Umweltwirkungen gibt es ein europäisches Verfahren, und dies zugrunde gelegt kam ich auf einen Gegenschaden von 350.000 Euro. So viel müsste ich – neben der Änderung meines Lebensstils – in Renaturierung und Wiederaufbau der Umwelt stecken, um meinen Abdruck auf Null zu reduzieren. Ich habe also gemerkt: Der Schaden ist immens, und die Wiedergutmachung wird ziemlich teuer …
Davon kann man sicherlich viele Bäume pflanzen, oder?
So simpel ist es leider nicht, das musste ich erst lernen. Einfach nur einen Wald zu pflanzen, ist kein umweltgerechter Ausgleich, haben mir die Wissenschaftler:innen erklärt. Stattdessen haben sie drei Punkte hervorgehoben: Erstens benötigt es einen vollständigen Ausgleich über alle Wirkungskategorien, also nicht nur der CO2-Emissionen, sondern beispielsweise auch der Versäuerung des Bodens und der Beeinträchtigung der Biodiversität. Zweitens muss ich dauerhaft, nicht nur einmalig in die Natur reinvestieren. Dazu müssen möglichst neue, ökologisch heruntergewirtschaftete Flächen erschlossen werden und die Fläche, die ich dafür brauche, muss auch weiterhin genutzt werden können. Denn sonst kaufe ich 15 Hektar Wald, die niemand mehr betreten darf, und nehme der Natur und den Menschen so Fläche weg, die gebraucht wird. Das waren die gedanklichen Randbedingungen.
Was haben Sie am Ende daraus gemacht?
Ich habe eine Fläche gesucht, auf der die Natur in einem schlechten Zustand ist, und habe diese in einem alten Bergwerk in NRW gefunden. Dort investiere ich das Geld, um die gesamte Brachfläche zu sanieren und zu renaturieren. Das sind dann nicht nur ein paar gepflanzte Bäume, sondern verschiedene Biotope, in denen viele Arten Heimat finden.
Das klingt alles sehr aufwändig und teuer. Sie sind nur eine Privatperson. Kann ein Unternehmen mit Milliardenumsatz überhaupt sinnvoll einem solch aufwändigen Ansatz folgen?
Die klare Antwort: Ja. Wir haben Unternehmen, die Umweltschäden im dreistelligen Millionenbereich verursachen. Die kommen auf unsere Firma GREENZERO zu, um gemeinsam ein Nachhaltigkeitskonzept zu erarbeiten. Wir fangen vorne an und überlegen: Wo lassen sich Umweltschäden reduzieren? Welche Produkte lassen sich mit anderen Werkstoffen besser für die Umwelt produzieren und womöglich langfristig auch ökonomisch günstiger? Das ergibt schon immer ein riesiges Potenzial, welches das Unternehmen erstmal ausschöpfen kann. Darüber hinaus entwickeln wir Projekte zur Kompensation. Wertvoll finde ich dabei, dass Geld für Umweltprojekte hier vor Ort investiert wird, wo die Schäden entstehen, und nicht in weiter Ferne, zum Beispiel durch Aufforstung in Südamerika. Denn damit externalisieren – und exportieren – wir wieder die Schattenseiten unseres Wohlstandes: Wir baggern Braunkohle aus, und in Südamerika sollen dann bitte Bäume für unsere Kompensation gepflanzt werden. Da stimmt was nicht.
In der Krise schauen Kunden leider nicht auf Nachhaltigkeit, sondern auf den Preis. Wie lassen sich diese überzeugen?
In Zeiten ökonomischer Not gibt es in der Tat das Diktat des Preises. Der ist aber nicht ausschlaggebend. Denn diese Krise trifft zumeist die Menschen am heftigsten, die sowieso einen kleinen ökologischen Fußabdruck haben. Die Vermögenden belasten die Umwelt überproportional und bei ihnen ist es nicht existenziell, ob ein Shampoo 2,50 oder 2,70 Euro kostet. Von den ökonomisch Privilegierten mit ihren großen Fußabdrücken dürfen wir also erwarten, dass sie Verantwortung für die Umwelt übernehmen und Transformation vorantreiben. Denn bisher ist es so: Die westliche Welt privatisiert den Erfolg und vergemeinschaftet die Umweltkosten. Jeder kluge Manager und jede kluge Managerin weiß längst, dass das so auf Dauer nicht funktionieren kann. Unser ökonomischer Reichtum ist abhängig vom ökologischen, das wird in den kommenden Jahren noch viel deutlicher. In der EU gehen wir von einem Preis bis zu 500 Euro je Tonne CO2 bis 2030 aus. Manager:innen, die hohe Emissionen verursachen, werden ihre Firmen an dieser Umweltkostenperspektive ausrichten und versuchen, so wenig wie möglich CO2 auszustoßen. Manager:innen, die das nicht verstehen, werden verschwinden – und ihre Firmen und Produkte auch. Sie sind nicht zukunftsfähig.
Was hält Unternehmen bisher davon ab, sich auf das Thema zu fokussieren?
Siegen macht dumm. Je erfolgreicher Unternehmen sind, desto geringer die Neigung, etwas zu hinterfragen. Wirtschaftlicher Erfolg ist also oft eine Transformationsbremse. Daneben gibt es Unsicherheit bei denjenigen Führungskräften, die eher Risiken denn Chancen in Veränderung sehen. Und dann werden sie auch überschüttet mit diversen Informationen: Ökobilanz, Kompensation, Nachhaltigkeitsberichte: Wo soll ich anfangen? Das führt bei manchen zur Schockstarre. Dabei müssen wir alle endlich begreifen: Ökonomie und Ökologie sind keine Gegensätze, sondern funktionieren nur im Einklang, nachhaltig.
Wo sollten Unternehmen denn anfangen?
Mit einem Pilotprojekt zum Üben. Sie wählen ein erstes Produkt aus, für das sie eine ordentliche Ökobilanz erstellen, und analysieren, wo Optimierungspotenziale sind. Erst wenn diese umgesetzt sind und Umweltwirkungen des Produkts maximal reduziert worden sind, kann das Unternehmen dann über Kompensationsmaßnahmen nachdenken. Erfolgreiche Pilotprodukte geben Zuversicht für den Transformationsprozess. Unternehmen merken dann schnell, dass nachhaltige Transformation gar nicht so schwierig ist, und können andere Produkte Schritt für Schritt adaptieren.
Glauben Sie, dass Unternehmen die Kurve kriegen?
Ich habe daran keine Zweifel. Die Wirtschaft und die Unternehmen sind die Treiber der Transformation, und gerade solche mit einer langen Firmenhistorie verstehen: Wir müssen uns nachhaltig verändern. Wir sollten hier nicht auf die Politik warten, weil die zu langsam ist. Erfolgreiche Unter-nehmer:innen denken in Chancen – und davon gibt es gerade einige.
Vielen Dank für das Gespräch. //