Beschaffung aktuell : Hürden beim Textilieneinkauf

Nachhaltigkeit in der Textilbranche

Nachhaltige Kleidung – ist das überhaupt möglich? Die Textilbranche hat mit schlechten Arbeitsbedingungen in der Lieferkette, langen Transportwegen und einem riesigen Abfallproblemzu kämpfen. Die ExpertInnen von Inverto zeigen Lösungsansätze auf.

Kleider machen Leute, ein Spruch, der heutzutage mehr zutrifft als jemals zuvor. Laut der FAZ haben sich die Kleidungskäufe weltweit seit 2000 verdoppelt; Deutsche kaufen im Jahr pro Kopf 30
Kilogramm neue Kleidung (mdr). Um diese Massen zu produzieren, ist die Textilindustrie in den letzten Jahren eine globale Angelegenheit geworden, immer auf der Jagd nach den billigsten Preisen – und zwar ohne Rücksicht auf Verluste für Menschen, Klima und die Umwelt. Doch Nachhaltigkeit spielt in der Textilbranche, nicht zuletzt aufgrund des Lieferkettengesetzes, eine immer größere Rolle. Unterteilen kann man Nachhaltigkeit in drei Teilbereiche:

  • Soziale Nachhaltigkeit, die sich mit der Einhaltung von Menschenrechten beschäftigt (wie im Lieferkettengesetz),
  • Nachhaltigkeit für das Klima, die sich vor allem mit der Verminderung des C02-Ausstoßes beschäftigt,
  • Nachhaltigkeit zum Schutze der Umwelt, die Belastungen durch Chemikalien, Abfall sowie den sparsamen Umgang etwa mit Wasser beleuchtet.

Doch was kann die EinkäuferIn überhaupt tun, um nachhaltigere Kleidung einzukaufen? Antworten kann die Einkaufsberatung Inverto geben. Das Beratungsunternehmen hilft beim Sourcing von Lieferanten, der Auditierung, den Benchmarks für mehr Preistransparenz und unterstützt Kunden bei Risikoanalysen. Maximilian von Haxthausen und Laura Steinhoff sind bei Inverto Projektmanager und Expert Innen für die Textilindustrie.

Unabhängige Textilsiegel

Eine Methode, auf Nachhaltigkeit in der textilen Lieferkette zu achten, sind Gütesiegel. Steinhoff erklärt, worauf es ankommt: „Unterschiedliche Siegeln konzentrieren sich auf unterschiedliche Prozessschritte. Wichtig ist, dass diese Überprüfung unabhängig stattfindet, etwa durch Prüfungsinstitute.“ Vermieden werden sollten „hauseigene“ Siegel von Unternehmen. Diese Siegel ohne Prüfung Dritter sind oft eher als reine Marketingmaßnahme zu sehen. Auch Audits in der eigenen Lieferkette sind, neben der Überprüfung von Lieferanten-Zertifikaten, möglich, etwa mithilfe des TÜV Süds.

Lange Lieferkette

Die Webseite des europäischen Parlaments schätzt, dass zehn Prozent des weltweiten C02-Ausstoßes auf die Textilbranche zurückzuführen ist. Grund dafür ist vor allem die lange Lieferkette. Wer
hier einhaken will, der sollte beim Kauf auf eine regionale Herstellung achten. Doch nicht alles, was regional ist, ist nachhaltig. Steinhoff warnt: „Es ist machbar, Rohstoffe und Verarbeitungsprozesse in der EU zu sourcen. Man muss aber wissen, dass soziale Standards auch in der EU nicht immer erfüllt werden. Auch hier gibt es Dumpinglöhne und Ausbeutung.“

Kreislauf ist ein Tagtraum

Meistens werden Fragen der Nachhaltigkeit im Rahmen der Rohstoffbeschaffung und entlang des Produktionsprozesses, also bei der Entstehung eines Produkts, betrachtet. Haxthausen geht  einen Schritt weiter: „Der Produktlebenszyklus eines Produkts besteht nicht nur aus dem Produktionsprozess. Auch die Verwendungszeit und die Entsorgung müssen beleuchtet werden.“ Schafft man es, ein Produkt von Anfang bis Ende nachhaltig zu gestalten, spricht man von einer Kreislaufwirtschaft bzw. einem „Cradle to Cradle“-Konzept. Ein Anhaltspunkt, Textilien nachhaltig zu
machen, liegt also im Nutzungsverhalten. Da Berufskleidung nicht halb so schnelllebig ist wie „Alltagskleidung“, ist hier die Nutzungsdauer ohnehin länger. Zusätzlich schlägt Experte Haxthausen vor, die Nutzung etwa durch Leih- und Leasingmodelle zu verlängern. Doch was, wenn man Kleidung nicht mehr tragen kann oder will? Zwar wird ein Teil der Altkleider als Second-Hand Waren im In- und Ausland angeboten, ein größerer Prozentsatz fristet sein restliches Leben aber als Putzlappen, Dämmstoff oder Pappe. Ein nicht unbeachtlicher Anteil wird „entsorgt“ – bis heute ein Synonym fürs Verbrennen oder Deponien in anderen Ländern. Eine wahre Kreislaufwirtschaft ist in der Textilbranche heute ein Tagtraum – und wird es bleiben, wenn kein Umdenken stattfindet.
Denn immer mehr Textilien sind von so minderer Qualität, das Altkleidersammler sie nicht weiterverwerten können (Panorama, ARD). Für EinkäuferInnen ergibt sich ein einfacher Schluss: Kleidung von besserer Qualität ist kurzlebigen „Fast Fashion“-Produkten vorzuziehen. Das Interesse an Altmaterial ist übrigens gering, wie Steinhoff erklärt: „Da die Rohstoffpreise für Erdöl so niedrig sind, ist es billiger, ein synthetisches Rohmaterial zu sourcen, als ein Material zu recyclen und wiederzuverwenden.“

Preis der Nachhaltigkeit

Ansätze für eine nachhaltigere Beschaffung von Textilien gibt es einige. Warum tut sich also so wenig, und das auch noch (zu) langsam? Ganz einfach: Nachhaltigkeit kann ein Minusgeschäft sein, wie Steinhoff erklärt. Um ein nachhaltiges Kleidungsstück zu einem verkaufsfähigen Preis anbieten zu können, muss es oft mit anderen, nicht-nachhaltigen Produkten cross-finanziert werden. Was darf Nachhaltigkeit also kosten? Nicht viel, ist die Antwort von Haxthausen: „Für viele Unternehmen stehen die ökonomischen Ziele im Vordergrund. Eine EinkäuferIn wird zumeist an der kommerziellen Performance gemessen, nicht an nachhaltigen Standards.“ Doch der Experte weiß Rat wie Nachhaltigkeit auch im Einkauf verankert werden kann: „Es bedarf einer klaren Unternehmensrichtlinie, die den Rahmen, auch für Nachhaltigkeit, vorgibt.“ Wichtig ist, dass diese Richtlinien nicht nur auf dem Papier stehen, sondern auch gelebt werden.

Gütezeichen für Textilien

  • Der Grüne Knopf ist ein 2019 eingeführtes staatliches Siegel, das soziale und ökologische Anforderungen vereint und sich unter anderem auf die anderen Siegel stützt. Der Fokus liegt in der Verarbeitung der Textilien.
  • „IVN Best“: Dieses Siegel wird von dem Internationalen Verband der Naturtextilienwirtschaft vergeben und wird an Produkte verliehen, die zu 100 % aus Bio-Naturfasern bestehen. Giftige Chemikalien sind im gesamten Prozess verboten. Ebenfalls überprüft werden Arbeitsstandards.
  • Global Organic Textile Standard (GOTS): Textilien mit diesem Siegel müssen mindestens 70 % Bio-Naturfasern vorweisen; ebenfalls überprüft werden die Zusammensetzung der chemischen Zusätze und soziale Anforderungen.
  • Das Siegel der Fair Wear Foundation betrachtet soziale Standards für Arbeitskräfte in der gesamten Lieferkette in elf Ländern in Südosteuropa, Südostasien und Afrika.
  • Fairtrade Certified Cotton ist ein Gütezeichen der TransFair e.V. Es steht für fair produzierte Baumwolle und einen garantierten, kostendeckenden Mindestpreis für die Hersteller. Die Baumwolle ist allerdings nicht immer Bio-zertifiziert.