Handelsblatt - Zulieferer fürchten neues Volkswagen-Sparpaket - Autohersteller wollen zu Vorkrisenpreisen zurück

Zulieferer fürchten neues Volkswagen-Sparpaket – Autohersteller wollen zu Vorkrisenpreisen zurück

Gerade erst haben sich die Renditen der meisten Autozulieferer etwas erholt. Mit dem geplanten Sparprogramm von Volkswagen kippt die Stimmung in der Branche.

Die angekündigten Sparpläne von Volkswagen sorgen für Unruhe bei den Automobilzulieferern. Europas größter Autobauer will die Kosten bis 2026 um zehn Milliarden Euro drücken. Die Zulieferer wissen schon, wo VW-Chef Oliver Blume als Erstes ansetzen wird: vor allem im Einkauf. Wenn Europas größter Autohersteller ein solches Spardiktat ausruft, dauert es nicht lange, bis es Zulieferer wie Bosch, Continental, ZF und die vielen mittelgroßen und kleinen Lieferanten in Deutschland trifft.

„Die Autobauer können jetzt gern niedrigere Preise von uns fordern. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass die Zulieferer weiterhin gestiegenen Kosten ausgesetzt sind“, sagt der Chef eines großen deutschen Autozulieferers unter dem Eindruck der letzten Preisverhandlungen. „Einem Nackten kann man nicht in die Tasche greifen.“

Das Verhalten von Volkswagen hat Signalcharakter für die Branche. Wenn der größte Abnehmer die Preise drückt, dann folgen in aller Regel auch Mercedes und BMW. Manager der größten deutschen Autozulieferer berichten bereits darüber, dass VW und andere Autobauer in Preisverhandlungen wieder eine Rückkehr zu den Vorkrisenpreisen fordern. Denn während der Coronakrise hatten die Autokonzerne viele Lieferanten großzügiger behandelt als sonst.

Die Autohersteller sorgten sich im Zuge des Chip- und Rohstoffmangels um die Lieferfähigkeit ihrer Partner und konnten ihrerseits wegen der langen Lieferzeiten hohe Preise bei den Autokäufern durchsetzen. Continental-Finanzvorständin Katja Dürrfeld berichtet, dass der Dax-Konzern bis zu 80 Prozent seiner gestiegenen Kosten über höhere Preise an den Autobauer weitergeben konnte. Auch die Konkurrenten Bosch und ZF konnten höhere Kosten zumindest zum Teil an die Hersteller weiterreichen.

Selbst Unternehmen wie Mahle, Elring-Klinger oder der Abgasspezialist Eberspächer bekamen etwas mehr Luft zum Atmen. Das ist nun offenbar vorbei. „Der Ton wird ruppiger, die Gespräche laufen weniger partnerschaftlich, und die Bereitschaft der Hersteller, gestiegene Kosten in der Lieferkette zu übernehmen, nimmt deutlich ab“, sagt der Sprecher eines großen deutschen Zulieferers.

„Einem Nackten kann man nicht in die Tasche greifen“

Die Zulieferbranche hatte gerade erst eine kurze Verschnaufpause. Überraschend deutlich steigende Produktionszahlen trugen die Zulieferindustrie durch die ersten Monate des Jahres. Vor allem in Europa nimmt die Produktion zu, laut einer Analyse der Ratingagentur Moody’s im ersten Quartal um 17 Prozent. Der Automobilverband VDA verzeichnete in Deutschland von Januar bis Mai sogar einen Anstieg um 32 Prozent.

Die von Moody’s bewerteten europäischen Zulieferer, darunter Continental, Schaeffler und Faurecia, konnten ihre Umsätze im ersten Quartal 2023 im Vergleich zum Vorjahresquartal um bis zu 39 Prozent steigern. Damit übertraf die Branche die Prognose der Ratingagentur. Die Investmentbank Jefferies sieht zudem erste Anzeichen, dass sich die Gewinnmargen der Autobauer und Zulieferer wieder annähern.

Diese hatten sich seit der Coronakrise deutlich auseinanderbewegt. Die Hersteller strichen außerordentlich hohe Gewinne ein, weil sie die Produktion hochpreisiger Fahrzeuge priorisiert hatten. Die Zulieferer hingegen bekamen in der Folge die sinkenden Produktionsvolumina zu spüren. Im Gegensatz zu den gut verdienenden Autobauern waren die Zulieferer gezwungen, ihre Kosten zu senken. So hat etwa Conti seine Personalausgaben im vergangenen Jahr auf 25,8 Prozent des Gesamtumsatzes gesenkt. 2021 lagen die noch bei fast 28 Prozent. Bei Forvia, dem Gemeinschaftsunternehmen von Faurecia und Hella, sanken die Ausgaben von 24,5 auf 21,6 Prozent des Gesamtumsatzes.

„Die Rosinenpicker-Jahre für die Hersteller sind vorbei, als sie in der Chipkrise die Halbleiter bevorzugt in die Spitzenmodelle einbauten und bei sinkendem Absatz die Gewinne massiv steigerten. Die Bereitschaft der Autohersteller, einen Teil unserer Kostensteigerung mitzutragen, wird deutlich sinken“, heißt es bei einem großen Autozulieferer.

Berater erwarten harte Preisverhandlungen

Jürgen Wetzstein vom Beratungsunternehmen Inverto, das sich auf Lieferketten spezialisiert hat, erwartet nun harte Verhandlungen. „Die Volumeneffekte werden sich bei den Zulieferern positiv niederschlagen. Wir gehen deswegen davon aus, dass die Verhandlungen mit den Autobauern wieder schwieriger werden. Die Hersteller werden wahrscheinlich demnächst den Druck erhöhen und Zulieferer zu den alten Preisen drängen“, sagt Wetzstein.

Der Druck ist in den Unternehmen häufig schon spürbar. „Die Preisverhandlungen werden hart, unsere Kosten sind noch hoch. Wenn wir schon kämpfen müssen, ist es eine Frage der Zeit, wann der erste kleinere Wettbewerber den Druck nicht mehr aushält“, sagt ein Topmanager eines großen Zulieferkonzerns. Klar ist: Es trifft immer die gesamte automobile Nahrungskette und das Glied am Ende meist am härtesten.

Obwohl weltweit in diesem Jahr wieder bis zu 85 Millionen Autos produziert werden und 2024 bereits an die 90-Millionen-Marke gekratzt werden könnte, blickt die Zulieferbranche skeptisch in die Zukunft. Denn nach wie vor ist unklar, welche Auswirkungen die hohe Inflation und die schwächelnde wirtschaftliche Entwicklung in einigen Ländern, unter anderem Deutschland, auf die Auto-Nachfrage haben wird.

Aktuell arbeiten die Autobauer vor allem ihre Auftragsbücher ab, die sich im Zuge des Chipmangels gefüllt hatten. Diese Auftragsbücher dürften allerdings bei den meisten Autoherstellern im dritten Quartal abgearbeitet sein. Bei Volkswagen und Audi könnte das gegen September der Fall sein, heißt es aus Konzernkreisen. Ob die Nachfrage danach wieder das Vorkrisenniveau erreicht, ist derzeit unklar. Dementsprechend könnte zwischenzeitlich das Produktionshoch wieder abflauen. So rechnet etwa die Investmentbank Jefferies im dritten Quartal mit einem Produktionsrückgang von knapp fünf Prozent und nur einem leichten Plus im letzten Jahresviertel.

Die Erholung der Zulieferer würde sich deswegen Moody’s zufolge nur dann fortsetzen, wenn der weltweite Autoabsatz gemäß
den Prognosen steigt und die Zulieferer es schaffen, ihre Preise gegenüber den Autobauern zu verteidigen.

Magere Renditen

Für Inverto-Geschäftsführer Wetzstein hängt davon auch ab, ob die bis zuletzt angeschlagene Profitabilität der Zulieferer nachhaltig wieder steigt. Denn bislang würden vor allem die Umsätze steigen. „Europäische Zulieferer sind langfristig nur dann innovativ und dadurch wettbewerbsfähig, wenn die Ebit-Marge mehr als fünf Prozent beträgt“, sagt er. Dieses Niveau würde aktuell nur eine kleine Anzahl an Unternehmen erreichen. „Etwa drei Viertel aller Zulieferer in Europa lagen im Jahr 2022 hinsichtlich Profitabilität unter der Fünfprozentschwelle“, sagt Wetzstein.

Die Unternehmen müssen die hohen Belastungen für die Transformation zur Elektromobilität schultern. Continental etwa konnte diese Schwelle nur leicht übersteigen. Im ersten Quartal betrug die Ebit-Marge 5,2 Prozent nach vier Prozent im Vorjahr. Für das Gesamtjahr rechnet der Dax-Konzern mit 5,5 bis 6,5 Prozent. Bosch und ZF veröffentlichen keine detaillierten Quartalsergebnisse. Bosch hatte im vergangenen Jahr die Rendite in seinem Autogeschäft von 0,7 auf 3,4 Prozent steigern können.

Das Konzern-Renditeziel für dieses Jahr, in dem noch andere Bereiche enthalten sind, liegt bei fünf Prozent. Finanzchef Markus Forschner bezeichnete das Ziel als „ehrgeizig“. Im ersten Quartal hatte der Konzernumsatz um 3,4 Prozent zugelegt. ZF plant fürs Gesamtjahr eine bereinigte Umsatzrendite zwischen 4,7 und 5,2 Prozent.

Quelle: Handelsblatt vom 15.06.2023

Autoren: Buchenau, Martin-W. & Tyborski, Roman

Dokumentennummer: HB_29204584 

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