Auf den Straßen demonstrieren Jugendliche für eine bessere Klimapolitik, und auch Investoren fordern immer häufiger Nachhaltigkeit ein. Welchen Stellenwert hat das Thema inzwischen bei Unternehmen?

Wir beobachten, dass die Relevanz von Nachhaltigkeit von Jahr zu Jahr weiter ansteigt. Das gilt übrigens nicht nur für das Thema Klima. Nachhaltigkeit wird breiter gedacht, im Wesentlichen entlang der ESG-Kriterien. Und die beinhalten neben Environment auch die Aspekte Social und Governance. Dahinter verbirgt sich eine große Vielfalt an Themen: Social bedeutet in dem Zusammenhang zum Beispiel, dass ein nachhaltiges Unternehmen auch das langfristige Wohl seiner Mitarbeiter:innen im Kopf hat und darauf achtet, dass es keinesfalls Kinderarbeit toleriert. Governance bedeutet unter anderem, dass die Maßnahmen zur Nachhaltigkeit auf Vorstands- und Aufsichtsratsebene fest verankert sind.

Wie erklären Sie sich den Sinneswandel der Unternehmen?

Insgesamt hat in den vergangenen Jahren ein gesellschaftlicher Wandel stattgefunden. Sowohl Unternehmen als auch die Gesellschaft als Ganzes, fragen sich immer stärker, wie sich ihr Handeln auf die Zukunft des Planeten auswirkt. Lange Zeit war Nachhaltigkeit eher ein Wunsch, heute wird sie zu einer Voraussetzung für solide wirtschaftende Unternehmen. Der Druck kommt dabei auch von den Investoren: Der Vermögensverwalter Blackrock hat zum Beispiel eine Liste mit Unternehmen veröffentlicht, bei denen er von seinen Shareholder-Rechten Gebrauch macht, um mehr Nachhaltigkeit einzufordern. Das ist für die Unternehmenswelt ein ganz klares Zeichen.

Hat die Wirtschaft diese Tendenzen zu lange verschlafen?

Ja und nein. Vorausschauende Unternehmen hätten den Trend vielleicht früher ablesen können, aber vor einigen Jahren war das Bewusstsein für Nachhaltigkeit in der Gesellschaft noch nicht so präsent. Es gibt darüber hinaus auch eine ganze Reihe von Unternehmen, die sich eine aktivere Regulierung bei dem Thema wünschen. Nehmen Sie zum Beispiel als Ziel die Dekarbonisierung von Lieferketten. Würde ein einzelner Automobilhersteller heute darauf setzen, ausschließlich klimaneutralen Stahl zu verarbeiten, würde er ein starkes Kosten- und Lieferanten-Risiko eingehen. Die Veränderungen von Produkten und Lieferketten erfordert Zeit – und in vielen Fällen auch deutlich andere regulatorische Rahmenbedingungen.

Welche Vorteile hat Nachhaltigkeit bereits jetzt für den Unternehmenserfolg?

Die wirtschaftlich erfolgreichen Unternehmen sind sehr oft auch diejenigen, die nachhaltig wirtschaften. Das zeigt sich über verschiedene Branchen hinweg. Im Hinblick auf das Thema Klima bedeutet das zum Beispiel, dass die Unternehmen, die die geringste Emissionsintensität haben, sich durch einen deutlich höheren Unternehmenswert auszeichnen. Diese Korrelation kann man sehr klar beobachten.

Zurzeit scheint die Wirtschaft eher mit Covid-19 beschäftigt zu sein als mit dem Thema Nachhaltigkeit. Hat das Virus Unternehmen in ihren Bestrebungen zu mehr Nachhaltigkeit ausgebremst?

Für einige Firmen stehen derzeit andere Themen im Fokus, als sich über die stärkere Etablierung von Nachhaltigkeit in der Unternehmensstrategie Gedanken zu machen. Andererseits stellen wir fest, dass gerade jetzt eine neue Welle an Nachhaltigkeitsprojekten gestartet wird. Hinzu kommt, dass Nachhaltigkeit auch eine Risikofrage für Unternehmen ist – die steigende Sensibilisierung hat Auswirkungen auf alle Bereiche – neben dem offensichtlichen Einfluss in Einkauf und Produktion geht es zum Beispiel oft auch um Gewinnung und Bindung von guten Mitarbeiter:innen.

Wo sollten Unternehmen ansetzen, um nachhaltiger zu werden?

Am Anfang einer Nachhaltigkeitsstrategie steht oft der Purpose – der Geschäftszweck des Unternehmens – und eine damit verbundene Nachhaltigkeit-Mission. Diese bestimmt die weitere Vorgehensweise. Unternehmen müssen analysieren, in welchen relevanten Bereichen sie Möglichkeiten sehen, die Nachhaltigkeit zu erhöhen und Initiativen aufsetzen. Dabei gibt es kein Patentrezept, jedes Unternehmen ist gefordert seine individuelle Strategie zu definieren und den Maßnahmenplan darauf ausrichten. So ist das Szenario für einen Autohersteller ein ganz anderes als für einen Konsumgüterproduzenten.

Und dann geht es an die Umsetzung.

Und diese braucht ihre Zeit. Nehmen wir zum Beispiel die Dekarbonisierung als Nachhaltigkeitsziel. Diese zu erreichen gestaltet sich in der Umsetzung oft komplex und kann nicht innerhalb weniger Monate erreichet werden. Es müssten unter Umständen andere Lieferanten gefunden werden und in den Produktionsprozessen sind teilweise gravierende Umstellungen nötig. Da solche Projekte letztlich sämtliche Unternehmens­bereiche betreffen, ist es wichtig, das Thema in der Geschäftsführung zu verankern. Für eine Implementierung der ESG-Aspekte ist es zudem erforderlich, langfristige Ziele zu setzen und Kennzahlen auf allen Ebenen zu tracken.

Wo sehen Sie die größten Probleme?

Der Erfolg von Nachhaltigkeitsbestrebungen lässt sich nicht kurzfristig messen, so wie es zum Beispiel bei einer Kostenoptimierung möglich ist. Daher sollte eine langfristige Incentivierung im Top-Management über persönliche Zielvereinbarungen erfolgen.

Ist das Streben nach Nachhaltigkeit für Unternehmen eher eine lästige Aufgabe oder eine motivierende Herausforderung?

Ich glaube Letzteres, der Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit ist heutzutage auch ein Wettbewerbsvorteil in der Positionierung. In Europa ist die Sensibilisierung für das Thema schon recht hoch, in vielen anderen Ländern fängt die Entwicklung gerade erst an. Ich denke aber, dass deutsche Unternehmen hier mit gutem Beispiel voran gehen und ein Zeichen setzen können. Aber sicherlich bleibt eine Reise für alle.

Dass Nachhaltigkeitsfragen bei Ratingagenturen mittlerweile gleichwertig mit finanziellen Kennzahlen gelistet werden, ist ebenfalls ein deutliches Zeichen, dass hier eine Entwicklung stattfindet. Verstärkend hinzu kommen die Kundenbedürfnisse, die zukünftig in größerem Umfang auch Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigen. Diese Entwicklung zeigt, dass Nachhaltigkeit definitiv kein Modethema ist, es wird ein ganz wesentlicher Gradmesser für alle Unternehmen der Zukunft werden.