Rohstoffstudie 2020

 

 

In der Krise bestehen und Niedrigpreise nutzen

Handlungsspielraum, auch wenn es eng wird

Die Corona-Pandemie und die damit zusammenhängenden Lieferrisiken hätten ein Weckruf sein können. Unsere aktuelle Rohstoffstudie offenbart aber, dass ein Großteil der Unternehmen im Rohstoffmanagement noch nicht professionell genug agiert – der Aspekt Versorgungssicherheit wird unterschätzt und das derzeit niedrige Preisniveau kaum genutzt.

Obwohl die Corona-Pandemie weltweit Lieferketten durcheinandergebracht oder gar abgerissen hat, machen sich die meisten Teilnehmer:innen unserer aktuellen Rohstoffstudie keine nennenswerten Sorgen um die Versorgung mit Rohstoffen. Durch die Krise ist die Nachfrage global gesunken, was wiederum Überkapazitäten und deutliche Preisnachlässe nach sich zog. Doch auch diese Situation blieb vom Einkauf weitgehend ungenutzt.

Über Engpässe in der Lieferkette klagt mehr als die Hälfte der Befragten, ein Drittel konstatiert bis heute eine schlechtere Planbarkeit der Rohstoffversorgung.

Die Gegenmaßnahmen, die von den Unternehmen am häufigsten ergriffen wurden, waren der Aufbau neuer Lieferanten, die Volumenverschiebung zwischen bestehenden Lieferanten sowie die Einrichtung eines „War Rooms“, um auf Verzögerungen schnell reagieren zu können. Diese Maßnahmen sind allerdings eher „Troubleshooting“ – es fehlt an einem professionellen Risikomanagement.

Das Problem hierbei ist, dass es vielen Unternehmen an Transparenz entlang der gesamten Versorgungskette fehlt. Denn viele Unternehmen kaufen Rohstoffe nicht direkt ein, sondern veredelte Vorprodukte, deren Rohstoffanteile sie nicht im Detail kennen. Folglich fehlt ihnen die Grundlage, um diese Rohstoffe strategisch managen und Kosten optimieren zu können.

Transparenz schaffen

Wichtigste Aufgabe der Einkäufer:innen ist es, sich einen detaillierten Überblick über die Vorprodukte und deren Lieferketten zu verschaffen. Da diese oft sehr verzweigt sind, geht das nur über ein aktives Lieferantenmanagement und eine enge Zusammenarbeit mit den strategischen Lieferanten. Durch deren Input und Daten, zum Beispiel produktionsrelevante Kennzahlen, Rohstoffverfügbarkeiten oder Lieferzeiten, kann es gelingen, die Versorgungssituation zu überwachen und bei Bedarf sofort effektive Maßnahmen einzuleiten. Parallel dazu muss der Einkauf die Lieferanten selbst regelmäßig prüfen, vor allem in Bezug auf Performance und Bonität.

Über Engpässe in der Lieferkette klagt über die Hälfte der Befragten, ein Drittel konstatiert bis heute eine schlechtere Planbarkeit der Rohstoffversorgung.

Rohstoffmanagement professionalisieren

Um die hergestellte Transparenz auch dauerhaft zur aktiven Risikoabwehr zu nutzen, müssen die Unternehmen die Daten kontinuierlich aktualisieren und überwachen. Hierbei können Business Intelligence und Real Time Risk Management Tools helfen, die über eine Schnittstelle ständig mit Daten der strategischen Lieferanten angereichert werden. Allerdings nutzen bisher nur wenige Unter- nehmen (27 Prozent) diese Maßnahme, obwohl 42 Prozent der Teilnehmer Business Intelligence Tools als geeignete Maßnahme sehen, ihr Rohstoffmanagement zu professionalisieren. Diese Lücke bei der Digitalisierung könnte auf den hohen Aufwand bei der Implementierung zurückzuführen sein, doch er lohnt sich.

Denn ist die Infrastruktur einmal geschaffen, trägt sie erheblich zur Risikoabwehr bei. Über die Definition von Risikofaktoren und die Festlegung von KPIs und Warnsignalen können Einkäufer:innen in, „real time“ auf Veränderungen reagieren und aus einem vor- definierten Set an Versorgungssicherungsstrategien die passende auswählen.

 

Preismodelle prüfen

Kunststoffe, Chemikalien, Aluminium und Eisen sind die wichtigsten Rohstoffe für die Studienteilnehmer:innen. Da sowohl für Erdöl als auch für die meisten Metalle die Preise gesunken sind, wirkt die Zahl derer, die davon profitieren konnten, mit 29 Prozent niedrig. Das ist in vielen Fällen auf langfristige Verträge zurückzuführen: 24 Prozent der Studienteilnehmer:innen haben angegeben, dass sie vor Beginn der Pandemie bereits Festpreise vereinbart hatten – sie konnten also die Baisse am Markt nicht nutzen. Langfristige Preisvereinbarungen sind grundsätzlich eine gute Lösung, da sie die Kosten planbar machen, sie schränken den Verhandlungsspielraum der Rohstoffeinkäufer:innen aber gleichzeitig ein.

Eine Auswertung der Rohstoffpreishistorie und der Abgleich mit den tatsächlich gezahlten Preisen deckt Abweichungen auf und kann den Ausgangspunkt für Verhandlungen bilden. Hierbei sollten Einkäufer:innen auch die Möglichkeit in Betracht ziehen, Konditionen rückwirkend zu verhandeln. Schließlich konnte niemand die Pandemie und die damit verbundenen Preissenkungen vorhersehen. Sinnvoller ist es zudem, in langfristigen Verträgen Preisgleitklauseln zu vereinbaren und die Preismodelle von vornherein an Rohstoffindizes zu koppeln.

 

 

FAZIT

Covid-19 stellt Unternehmen vor erhebliche Herausforderungen, neben Verzögerungen in der Lieferkette und rückläufigem Umsatz haben sie auch mit einer schlechteren Planbarkeit der Rohstoffversorgung zu kämpfen. Dies verdeutlicht den großen Handlungsbedarf bei der Professionalisierung des Rohstoffeinkaufs, um zukünftig für Krisen und Herausforderungen besser gewappnet zu sein.

Autoren

Sebastian Wellmann

Sebastian Wellmann ist Associate Director im Kölner Büro von INVERTO und leitet das Competence Center Industrial Goods & Automotive. Er berät überwiegend Kunden aus der Automobilbranche sowie dem Maschinen- und Anlagenbau.

sebastian.wellmann@inverto.com

Justus Brinkmann

ist Senior Project Manager bei INVERTO in Köln und Experte für Rohstoffe; er ist in der Practice Area „Industry Goods“ für das Thema Rohstoffe verantwortlich und betreut im Rahmen dessen seit mehreren Jahren unsere jährlich neu aufgelegte Studie. Brinkmann berät überwiegend Kunden aus der chemischen Industrie sowie der Metallverarbeitung.

justus.brinkmann@inverto.com

 

Über die Studie

An der 11. Rohstoffstudie von INVERTO nahmen 78 Geschäftsführer:innen, Vorstände und Entscheidungsträger:innen im Einkauf aus dem deutschsprachigen Raum und Großbritannien teil. 68 Prozent der befragten Unternehmen haben ein Einkaufsvolumen von über 100 Millionen Euro pro Jahr. Etwa ein Drittel der Teilnehmer:innen gibt mehr als 50 Prozent davon für Rohstoffe aus.

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