Die Chip-Connection der Autobauer
Die Halbleiterhersteller und ihre Kunden in der Automobilindustrie blicken nervös nach Taiwan. Zwei Drittel der Chip-Auftragsproduktion stammen von dort. Ohne die schon jetzt knappen elektronischen Bauteile stünde die Branche vor dem Kollaps.
Jochen Hanebeck beobachtet „sehr besorgt“, was sich geopolitisch in und um Taiwan zusammenbraut. Der neue Vorstandsvorsitzende des deutschen Halbleiterkonzerns Infineon ist wie kaum ein anderer auf ungestörte Lieferantenbeziehungen zu den großen Chipproduzenten aus Südostasien angewiesen. Infineon erzielte zuletzt fast die Hälfte seines Umsatzes mit der Automobilindustrie. Die hat in den vergangenen Monaten ausreichend schlechte Erfahrungen mit fehlenden elektronischen Bauteilen gesammelt. Doch ein Totalausfall Taiwans würde auch das beste Risikomanagement bei den Autobauern überfordern.
„Taiwan ist ein essentieller Lieferant in der Halbleiterlieferkette“, sagte Hanebeck am Mittwoch bei der Halbjahreskonferenz des Unternehmens. Zum dritten Mal hat Infineon gerade wegen glänzender Geschäfte vor allem im Automotive-Segment seine Geschäftsprognose nach oben korrigiert. Und nun Taiwan. Er wolle nicht spekulieren, welche Szenarien sich in der Region entwickeln könnten, versuchte Hanebeck zu beruhigen. Doch sei nicht ausgeschlossen, dass es zu „schwerwiegenden Auswirkungen auf die gesamte Halbleiterindustrie“ und die davon abhängigen Wertschöpfungsketten kommen könne.
Im Zentrum der Horrorszenarien steht ein Ausfall des größten Halbleiterauftragsfertiger der Welt: Taiwan Semiconductor Manufacturing Company. TSMC steht als weltgrößte so genannte Foundry nach einer Schätzung des Marktforschers Trendforce (https://www.trendforce.com/presscenter/news/20220425-11204.html) für mehr als die Hälfte aller weltweit produzierten Halbleiter, bei Logikchips für die Smartphonehersteller ist der Marktanteil noch weitaus größer. Allein in Taiwan betreibt TSMC 14 Chipfabriken. Taiwan insgesamt hat in der Auftragsproduktion einen globalen Anteil von mehr als zwei Dritteln.
Angesichts des riesigen Marktanteils würden Sanktionen oder eine Seeblockade vor Taiwan „die Produktion von allem, was Halbleiter benötigt, massiv beeinträchtigen, eine weltweite Rezession wäre die Konsequenz“, befürchtet Paul Zahn, Automobilexperte und Managing Direktor bei der Unternehmensberatung Inverto. Allerdings gebe es auch eine enge Zusammenarbeit zwischen Unternehmen aus Taiwan und China. So sei China weltweit führend in der Produktion von Silizium und Wafers, dem Basismaterial für Chips. „Chinesische Unternehmen sind auf die Halbleiter ebenso angewiesen wie europäische und amerikanische“, sagt Zahn.
Europäische Chipfertigung erst in ferner Zukunft
Infineon vergibt etwa 30 Prozent seiner Produktion an externe Auftragsfertiger. „Davon geht ein großer Anteil nach Taiwan“, sagte Hanebeck. Um dieses absehbare Risiko zu reduzieren, hat das deutsche Unternehmen schon länger „im Sinne unserer Resilienz“, wie der Infineon-Chef sagt, nach Alternativen außerhalb Taiwans gesucht. „Die Umstellung ist allerdings ein sehr langwieriger Prozess“, räumt Hanebeck ein. Dies gelte vor allem für die ultrakleinen Leading-EdgeChips, die etwa in Smartphones verbaut werden. In der Autoindustrie werden hingegen vorwiegend noch Halbleiter größerer Bauart verwendet. Dies ändert sich jedoch. In vernetzten Infotainmentsysteme und in der Architektur softwaredefinierter Fahrzeuge kommen immer mehr HighEnd-Chips und sogenannte Systems-on-a-Chip (SoC) zum Einsatz.
Einen sehr langen Atmen braucht die Branche mit Blick auf die Chipfabriken, die in Europa mit Starthilfe der EU-Kommission oder in den USA entstehen sollen. „Wir begrüßen und unterstützen die ChipsActs in Europa und in den USA“, sagte Infinion-Chef Hanebeck. Freilich ist der politische Abstimmungsprozess in der EU noch im Gange. Auf das Gesetzesvorhaben, den European Chips Act, das viele Milliarden für die heimische Halbleiterfertigung mobilisieren soll, müssen sich noch die EU-Länder (wohl bis Ende 2022) und anschließend das EU Parlament einigen. Eine Verabschiedung wird für Anfang 2023 erwartet.
„Der Aufbau von Kapazitäten, die nicht in Taiwan oder in China liegen, wird essenziell sein“, sagte Jochen Hanebeck. Eine autarke Chip-Versorgung aus Europa und den USA werde zwar niemals gelingen, „aber immerhin ein signifikanter Anteil an der globalen Halbleiter-Wertschöpfungskette“. So will etwa der US-Konzern Intel in Magdeburg 17 Milliarden Euro in ein großes Werk investieren. Bosch fährt wie berichtet (https://background.tagesspiegel.de/mobilitaet/bosch-investiert-weiteredrei-milliarden-euro-in-chip-fertigung) in Dresden eine eigene Chipfabrik hoch.
Die Probleme in den Lieferketten, die nicht nur Chips, sondern auch andere Vorprodukte und Rohstoffe betreffen, haben Unternehmen sensibel für die Risiken der Globalisierung gemacht. „Unsere global agierenden Kunden haben bereits im Zuge des Ukrainekrieges angefangen, ihr Rohstoffmanagement zu überprüfen“, sagte Paul Zahn von Inverto. „Ein Ausfall taiwanesischer Halbleiter ließe sich allerdings nicht kompensieren“, warnt Zahn. Der Aufbau neuer Strukturen würde Jahre dauern.
Lieferengpässe belasten BMW und ZF
Eine heimische Fertigung mit nennenswerter Kapazität ist nicht in Sicht. In der Gegenwart zeigt sich noch die Abhängigkeit der Automotive-Industrie von den eingespielten – und zuletzt vielfach gerissenen – Lieferketten, die von asiatischen Herstellern dominiert werden. Am Mittwoch meldeten etliche Branchengrößen weiter große Engpässe bei der Belieferung mit Chips.
So konnte BMW im zweiten Quartal unter anderem wegen fehlender Halbleiter weniger Autos produzieren. Verkauft wurden 563.000 Fahrzeuge, 20 Prozent weniger als im bereits schwachen Vorjahresmonat. Man sehe „zusätzlich zu den anhaltenden Versorgungsengpässen auch einen zunehmenden wirtschaftlichen Gegenwind aufziehen“, sagte BMW-Chef Oliver Zipse. Ähnlich hatte es Infineon formuliert.
Der Zulieferer ZF machte im ersten Halbjahr zwar mehr Umsatz, das Betriebsergebnis sank aber – unter anderem aufgrund der „eingeschränkten Verfügbarkeit von Halbleitern“. Der bereinigte Free Cashflow rutschte ins Minus, weil ZF Sicherheitsbestände vorhalten musste und auch im zweiten Halbjahr auf ein „aktives Management unserer Bestände“ angewiesen ist.
Insgesamt ist für die Autobranche bei den Neuzulassungen keine Erholung in Sicht. Im Juli kamen 205.911 Neuwagen auf die Straße, wie das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) mitteilte. Das waren knapp 13 Prozent weniger als im Juli des Vorjahres. Laut dem Beratungsunternehmen EY ist es das niedrigste Absatzniveau seit der Wiedervereinigung. „Der Neuwagenabsatz hat europaweit einen historischen Tiefstand erreicht, und der Chipmangel wird auch in den kommenden Monaten zu Lieferproblemen führen“, sagte EY-Autoexperte Peter Fuß.
Ein neues Nadelör für E-Autos
Insbesondere für Elektroautos könnte sich eine im Zuge des TaiwanKonflikts verschärfte Chip-Krise fatal auswirken. Denn die Zahl der Halbeiter, die für einen elektrifizierten Antrieb benötigt werden, verdoppelt sich im Vergleich zu klassischen Antriebssträngen. Und: Der Anteil von Halbleitern mit einer geringen Strukturgröße, die heute fast ausschließlich aus Asien kommen, wird sich nach einer Prognose der Beraterfirma P3 Group (https://www.p3-group.com/halbleitermanagement-implikationen-fuer-dieautomobilindustrie/) in E-Autos verzehnfachen.
Ähnlich wie die Batteriezelle werden Halbleiter zentrale Werttreiber künftiger Fahrzeuge, die elektrifiziert, autonom und vernetzt unterwegs sein werden. So liegt der Wertanteil von Halbleiterkomponenten bei einem Verbrennerfahrzeug laut P3 bei 850 Euro und entfällt vor allem auf Chips in Motorsteuergeräten (ECUs) und Sensoren. Bei einem E-Auto liegt der Wertanteil im Jahr 2030 bei 2430 Euro.
Zwar ist der elektromobile Wachstumstrend aktuell noch intakt, aber er hat sich abgeschwächt. Nach einer aktuellen Analyse von PwC Strategy& (https://www.strategyand.pwc.com/de/en/industries/automotive/e-mobility-sales-review-2022-q2.html) wurden im zweiten Quartal weltweit immer noch knapp 62 Prozent mehr rein-elektrische Autos (BEVs) zugelassen als im Vorjahreszeitraum. Im ersten Quartal 2022 habe das Wachstum allerdings noch bei 108 Prozent gelegen.
Quelle: tagesspiegel.de vom 04.08.2022
Autor: Henrik Mortsiefer
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