28.01.21 - Automobil Industrie: Chipmangel bei Autobauern: „Gerade geht es nur um Marktmacht“

Bei Mikrochips konkurrieren Autobauer mit Elektronikriesen wie Apple oder Huawei. Warum OEMs ihre Einkaufsstrategien überdenken, was das für kleinere Zulieferer bedeutet und was eine Chipfertigung in Europa so schwierig macht.

Sie stehen plötzlich im Fokus der Wirtschaftspresse: Chiphersteller wie NXP, Intel, Texas Instruments oder der taiwanesischer Auftragsfertiger TSMC. Letzterer hat am Mittwoch (27. Januar) nach einem Hilferuf von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) der Autoindustrie Unterstützung zugesichert. Zuvor hatten etliche Hersteller Engpässe bei elektronischen Bauteilen vermeldet. Volkswagen musste Kurzarbeit für die Fertigung des Touran und Taycan angemeldet, die Konzernschwester Audi hatte die Maßnahme für 10.000 Beschäftigte an den Standorten Neckarsulm und Ingolstadt ergriffen.

„Nicht viele lernen aus einer Krise.“ – Lars-Peter Häfele, Rohstoffexperte 

Ein Mangel bei Computerchips hat sich laut Constantin Gall, Leiter Mobility bei der Ernst & Young GmbH, bereits vor zwei Jahren abgezeichnet. „Durch Covid wurde das jedoch von zwei Seiten deutlich beschleunigt“, sagt Gall. Während die Chiphersteller selbst mit Lieferengpässen auf der Rohstoffseite kämpfen, führe die Nachfrage nach E-Autos und Fahrerassistenzsystemen zu einem deutlich höheren Bedarf. „In elektrisch angetriebenen Fahrzeugen kommen deutlich mehr Halbleiter zum Einsatz als bei Verbrennern“, sagt Gall.

Halbleitermarkt wächst

Die Corona-Pandemie hatte zunächst zu einer geringeren Abnahme durch Autobauer und einer steigenden Nachfrage etwa durch Unterhaltungselektronik oder auch Medizintechnik geführt. Die Analysten von World Semiconductor Trade Statistics haben errechnet, dass der weltweite Halbleitermarkt im Jahr 2020 um fünf Prozent gewachsen ist. US-Unternehmen haben dabei große Lagerbestände angehäuft und den Markt quasi leergesaugt. Dazu herrscht Strommangel in China durch Trockenheit; außerdem steht das Land mit den USA im Konflikt bei Handelsthemen: All das führt nun zu Verteilungskämpfen zwischen Industrien und Unternehmen. Und ausnahmsweise fehlt der Autobranche die übliche Marktmacht im Vergleich zu Elektronikriesen wie Apple, Huawei oder Samsung.

Zulieferer: Mehr Macht durch Bündnisse „Gerade geht es nur um Marktmacht und darum, wie verbindlich sich Unternehmen vertraglich die Kontingente gesichert haben“, sagt Lars-Peter Häfele, Rohstoffexperte bei der Einkaufsberatung Inverto. Die vertraglichen Vereinbarungen unterscheiden sich – und danach auch die Priorisierung der Chiphersteller bei der Verteilung der knappen
Güter. „Im Moment ist einfach nicht genug da“, sagt Häfele. Freilich sind es auch wieder die kleineren Zulieferer, die dabei schnell in die Röhre schauen. Ihnen fehlt schlichtweg die Größe – mehr Druck könnten sie in Einkaufsbündnissen ausüben, sagt Häfele. Und Drohpotenzial lasse sich auch über die Rolle als Zulieferer an OEMs oder die Elektroindustrie aufbauen. Und nicht zuletzt hilft manchmal auch Lautstärke. „Im täglichen Geschäft zeigt sich tatsächlich, dass manchmal auch eine gewisse Eskalation genug Druck aufbauen kann.“

Autobauer überprüfen ihre Einkaufsstrategien

Gerade bei kritischen Teilen sichern sich Unternehmen häufig über mehrere Quellen ab, also eine „Second Source“ oder „Third Source“. „Bei Chips ist es in der Praxis oft nicht möglich, zwischen verschiedenen Herstellern zu wechseln“, erklärt Häfele. Bei einer „Second Source“ sollten Unternehmen daher zumindest auf einen zweiten Technologiepartner bei den Chipherstellern setzen, um Freiprüfungsaufwände zu reduzieren – aus verschiedenen Regionen bestenfalls.

Autobauer stellen nun Berichten zufolge ihre Einkaufsstrategien auf den Prüfstand. Einem Bericht von „Spiegel“ zufolge herrscht beispielsweise im VW-Management „großes Unverständnis“ über die Knappheit bei Zulieferern wie Bosch oder Continental. Eine Taskforce prüfe Konventionalstrafen, heißt es im Bericht. „In manchen Fällen können solche Strafen verhängt werden“, sagt Einkaufsexperte Häfele, das hängt von den vertraglichen Details ab. Bei unverbindlichen Forecasts seien solche Schritte allerdings nicht möglich.

VW und BMW kontaktieren Chiphersteller

Grundsätzlich wollen die Autobauer vor allem den Normalzustand optimieren – und konzentrieren sich weniger auf Ausnahmesituationen wie die aktuelle. „Darauf immer vorbereitet zu sein, würde natürlich überproportionale Kosten verursachen.“ Die Kunst: Einen Mittelweg zu finden und bei Verträgen mal mehr, mal weniger ins Risiko zu gehen. Also auch abzuwägen, gegebenenfalls Strafen zu bezahlen, weil man als OEM mal nicht genug Mengen abnehmen kann. Die Vorteile, die manche Unternehmen jetzt haben,
können also teuer erkauft sein.

Volkswagen sucht nun laut dem „Spiegel“, ähnlich wie der Münchener Autobauer BMW, stärker den direkten Draht zu den Chipkonzernen und deren Rohstofflieferanten. Für kleinere Automobilzulieferer könnte das eine große Hilfe sein, sagt Häfele. „Ihnen hilft es, wenn Hersteller im Zuge einer sogenannten Dedicated Source das Risiko aus der Lieferkette nehmen.“

Mikroelektronik für Europa so wichtig wie Batterietechnik

Aus Politik und Wirtschaft werden nun Rufe nach einem europäischen Weg bei elektronischen Bauteilen laut. „Die wenigen Halbleiterhersteller sitzen meist in Asien“, kritisiert VDA-Chefin Hildegard Müller. Der Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik (VDE) fordert eine europäische Technologiestrategie bei Mikrochips, ähnlich wie bereits bei Batteriezellen. Und auch der scheidende Siemens- Chef Joe Kaeser plädierte im Interview mit „Handelsblatt“ dafür, stärker auf Mikroelektronik zu fokussieren.

„Den notwendigen Quarzsand könnte man auch hierzulande abbauen, Chips produzieren auch“, sagt Rohstoffexperte Häfele. Das Problem dabei sei ein Zwischenschritt: Silizium zu schmelzen sei extrem energieintensiv; die Energiekosten in Europa allerdings ungleich höher als die in Asien. „Wirtschaftlich ist das nicht möglich.“ Grundsätzlich kritisiert der Experte einen wiederkehrenden Rhythmus bei solchen Lieferkettenproblemen: „Jetzt sprechen alle darüber. Sobald sich die Lage beruhigt, sind alle einfach nur froh, ihre Teile günstig zu bekommen. Nicht viele lernen aus einer
Krise.“

Immerhin: Häfele rechnet damit, dass die Engpässe bis spätestens nächstes Jahr passé sind. Gall schätzt das ähnlich ein: Vorausgesetzt die Lage normalisiert sich ab dem dritten Quartal geht er davon aus, „dass wir noch 12 bis 18 Monate lang einen Mangel an Chips haben werden“.

Autorin: Svenja Gelowicz

Dieser Beitrag ist am 28.01.21 zuerst auf Automobil Industrie erschienen.

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