17.04.2020 - Börsen-Zeitung: Puzzlespiele in den Lieferketten

Unternehmen entwickeln alternative Beschaffungsszenarien – Umfrage zeigt Lerneffekte in der Krise

swa Frankfurt – Die Coronakrise ist noch lange nicht überstanden, doch Unternehmen bereiten sich heute schon auf neue Krisenszenarien vor. Für die Zukunft werden veränderte Strukturen von Lieferketten erwartet, auch das Risikomanagement soll nach der Covid-19-Pandemie anders aussehen. Nach einer Umfrage der zur Boston Consulting gehörenden Unternehmensberatung Inverto rechnen schon jetzt 40% der Unternehmen mit Lerneffekten aus der Krise. Befragt wurden in der letzten Märzwoche 102 Firmen aus 23 Branchen in 14 Ländern, die Mehrzahl in
Deutschland.

Es zeichnen sich Umstrukturierungen ab, nachdem 86% der Befragten in ihren Lieferketten Engpässe wahrnehmen und künftig noch eine Verschärfung erwarten. Lediglich jeder zehnte Teilnehmer gehe davon aus, dass die eigene Lieferkette nicht beeinträchtigt wird. Die Umsatzentwicklung fällt in den beteiligten Unternehmen je nach Branchenzugehörigkeit unterschiedlich aus. Während alle Befragten aus dem Automobilsektor sagen, dass sie einen Einbruch von mindestens 10% verzeichnen, bestätigt dies im Maschinenbau nur jeder Zweite, während die restlichen Befragten keine eindeutigen Auswirkungen erwarten. Stark gespalten sind die Teilnehmer aus dem Handel: Zwei Drittel von ihnen befürchten eine Umsatzminderung von über 10 %, während das restliche Drittel eine Steigerung von mindestens 10% erreicht. Unterschiedlich ist das Bild im Pharmasektor: Nur 20% aus dieser Branche rechnen mit Umsatzsteigerungen, während je 40% keine Auswirkungen oder einen Erlösrückgang erwarten.

Erwartungsgemäß haben fast 90%der Beteiligten Maßnahmen ergriffen oder geplant, um das Unternehmen krisenfest zu machen. Hierzu zählen die Einrichtung von Kontrollgremien zur täglichen Bewertung und Steuerung von Versorgungsrisiken (75 %), die Auswahl neuer Lieferanten (86 %), die Reduzierung kurz- und mittelfristiger Investitionen (83 %) sowie ein striktes Cash- Management zur Sicherung der Liquidität (78 %). Zwei wesentliche Hindernisse nehmen die Befragten dabei als problematisch wahr: 88% monieren einen Mangel an Informationen angesichts sich schnell ändernder Bedingungen, während 47% mangelnde Transparenz in der Lieferkette beanstanden. Ferner wirken sich Reisebeschränkungen und andere politische Maßnahmen sowie Zielkonflikte bei der Priorisierung negativ auf die Entwicklung von Lösungskonzepten aus.

Keine Unterstützung
In der Beschaffungskette versuchen die Unternehmen, Risiken zu erkennen und abzumildern. Mit kritischen Lieferanten wird das Gespräch gesucht, um Probleme zu lösen. Die Firmen entwickeln alternative Lieferszenarien und suchen alternative, womöglich lokale Bezugsquellen. Nur wenige Hersteller suchen dagegen der Umfrage zufolge Kooperationen mit anderen Unternehmen, um Ressourcen zu optimieren. Auch schließen es 70% der Befragten aus, ihren Lieferanten finanziell unter die Arme zu greifen. Zu einer solchen Unterstützung sind noch am ehesten Gesellschaften aus dem Maschinenbau bereit.

Die Experten der Unternehmensberatung empfehlen, Aktivitäten zur Krisenbewältigung zu kombinieren. ,,Liquiditätserhöhung, Kostensenkung und Lieferkettenstabilisierung sollten ganzheitlich angegangen werden, denn isoliert erbringen sie nicht die erwünschten Effekte,‘‘ mahnt Thibault Pucken, Geschäftsführer von Inverto. Er rät den betroffenen Unternehmen, in stärkere Partnerschaften entlang ihrer Lieferkette zu investieren, ,,so haben sie gute Chancen, aus der Krise gestärkt hervorzugehen‘‘.

Zu der Zeit nach der Krise befragt, planen fast alle Teilnehmer Änderungen in ihrer bisherigen Einkaufsstrategie: 46% der Befragten wollen sich demnach künftig besser auf Krisenszenarien vorbereiten, während 42% lokale Lieferanten in ihre Lieferketten integrieren werden. 36% der Befragten planen, die Transparenz in ihren Supply Chains – auch mit Hilfe von technischen Mitteln – zu erhöhen, während 35% enger und partnerschaftlicher mit ihren Lieferanten zusammenarbeiten wollen.
Lediglich 12%gehen davon aus, dass sie nach der Pandemieweiterarbeiten wie zuvor. Aus Sicht von Pukken passen diese Pläne ins Bild: ,,Covid 19 verstärkt hier bereits vorhandene Trends.‘‘

Neue Technologie hilft Die Kanzlei Baker McKenzie vertritt in einer gemeinsam mit Oxford Economics erstellten Studie die Einschätzung, dass längerfristig die Digitalisierung der Lieferketten den Unternehmen eine Chance verschaffe, um Unberechenbarkeiten in der Beschaffung von Produkten abzubauen. Das Risikomanagement in der Lieferkette werde auch nach der Coronakrise eine zentrale Aufgabe bleiben. Die Kosten für das Risikomanagement könnten zwar hoch sein, doch oft könnten Firmen dies durch Einsparungen mehr als ausgleichen. Das sei möglich, indem diese Prozesse die Entscheidungen über die Gestaltung von Produktpreisen unterstützen, um die Nachfrage auf weniger betroffene Linien zu verlagern. Auch werde es dadurch einfacher, Produktionsprozesse zwischen den Standorten zu verwalten und zu verlagern, meinen die Autoren der Studie.

 

Autor: Börsen-Zeitung, Frankfurt
Erschienen in der BÖRSEN-ZEITUNG, am 17.04.2020
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