New Work ist ein Prozess, der sich immer weiterentwickelt. Neue Generationen stellen neue Ansprüche und erwarten eine Sinnstiftung durch ihre Arbeit: Unternehmen, die zeigen, dass sie Verantwortung für ihre Angestellten und die Gesellschaft übernehmen, sind attraktiv für zukünftige Arbeitskräfte und potenzielle Kunden.
Gleichzeitig sollte bei all den neuen Arbeitsmethoden nicht in Vergessenheit geraten, wie wichtig das physische Zusammenkommen im Team ist. Das Büro bleibt ein Ort für Kreativität und persönlichen Austausch. New Work kann für nachhaltigere Denkweisen im Unternehmen sorgen, die Mitarbeiter:innen motivieren und ihnen mehr Verantwortung übertragen. Das Konzept, richtig umgesetzt, führt zu Angestellten, denen es nicht mehr nur darum geht, die ihnen übertragene Aufgabe abzuarbeiten. Sie machen auf ineffiziente Abläufe aufmerksam, schlagen Verbesserungen vor und fühlen sich für den Erfolg verantwortlich.
Die Art und Weise, wie wir arbeiten, hat sich in den letzten Jahren grundlegend verändert. Die Frage nach dem Sinn und Zweck ist insbesondere für die junge Generation in den Fokus gerückt. Um zukunftsfähig zu bleiben und die nachfolgenden Generationen anzusprechen, müssen sich Unternehmen ihrer gesellschaftlichen Verantwortung stellen und nachhaltige Geschäftsmodelle etablieren. Um der neuen Arbeitsrealität gerecht zu werden, kann New Work helfen. Doch was das nun konkret bedeutet, ist vielen Verantwortlichen unklar.
Eigentlich war Robert Kelly gerade voll in seinem Element. Routiniert und professionell wie sonst auch gab der Politikprofessor dem britischen Sender BBC ein Videointerview. Das Thema: der Konflikt zwischen Nord- und Südkorea. Kelly ist Experte auf diesem Gebiet, er hat schon dutzende Interviews zum Verhältnis der beiden Länder gegeben. Womit er an diesem Tag aber nicht gerechnet hatte, war, dass seine beiden Kinder plötzlich in sein Büro platzen. Kelly war sichtlich bemüht, die beiden auf Abstand zu halten, sich nicht ablenken zu lassen. So ganz gelang ihm das nicht, erst recht nicht, als sich seine Tochter auf seinen Tisch setzte und einige Bücher herunterfielen.
Heutzutage wäre das alles gar nicht mehr so ungewöhnlich. Videobesprechungen sind zum Standard geworden, gearbeitet werden kann von überall aus. Teams, Google Meet, Zoom, Skype – es gibt unzählige Softwareprogramme für solche Gespräche. Als Robert Kelly aber sein Interview gab, war es gerade März 2017. Das Video ging durch die Welt, dem Politikprofessor war es wohl eher peinlich, weshalb er kurze Zeit später der BBC ein weiteres Interview gab.
Es ist viel passiert in den zurückliegenden fünf Jahren. Viele Einflüsse haben dafür gesorgt, dass ein solcher Moment in einem Videointerview heute nicht mehr viral gehen würde. Erst kam die Coronakrise, die viele ins Homeoffice verbannte und ein Katalysator für digitales Arbeiten war. Nun folgt eine Krise auf die nächste: Lieferengpässe, Energieknappheit, Inflation, die wirtschaftlichen Folgen des von Russland begonnen Krieges in der Ukraine – all diese Themen fordern den Einkauf jeden Tag aufs Neue. Es geht darum, möglichst schnell zu reagieren, agil zu bleiben. Und genau dazu braucht es moderne angepasste Arbeitsweisen.
Die vergangenen Jahre haben den tiefgreifenden wirtschaftlichen und kulturellen Wandel vorangetrieben. Und auch jetzt, bei aller zurückgewonnenen Normalität, zeigt sich: Remote Working wird bleiben. Es ist daher an der Zeit, dass der Einkauf in seiner Schnittstellenfunktion die Zusammenarbeit aktiv gestaltet und dabei nicht nur die Mitarbeiter:innen, sondern auch die Lieferanten und Partner einbezieht, um dem Druck der Stakeholder Stand zu halten und in den kommenden Jahren erfolgreich zu agieren. Es geht darum, New Work zum Alltag zu machen und Arbeitsweisen kontinuierlich zu verbessern.
New Work ist mehr als nur Remote
New Work ist weit mehr als nur ein Kickertisch im Büro und digital vernetztes Arbeiten. Ganz ursprünglich war der Begriff politisch geprägt. New Work geht auf den Sozialphilosophen Frithjof Bergmann zurück. Nach einem Besuch in den Ostblockländern zwischen 1976 und 1979 kam er zu dem Schluss, dass der Sozialismus keine Zukunft mehr habe. Es brauchte einen Gegenentwurf, einen Paradigmenwechsel im Westen, wie Arbeiten aussehen könnte.
Heute ist New Work in die Unternehmenswelt vorgedrungen und beinhaltet diverse Facetten. Vor allem geht es dabei um Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung, der Mensch rückt in den Mittelpunkt. Das heißt, dass Mitarbeitende Freiräume und Eigenverantwortung wahrnehmen und sich so individuell weiterentwickeln.
Zweck der Arbeit soll nicht mehr nur sein, Geld zu verdienen, sondern etwas zu tun, was einen Sinn hat. Persönliche sowie berufliche Weiterentwicklung sollten im Einklang stehen. Hierfür braucht es Flexibilität – das Homeoffice und das Arbeiten von verschiedenen Orten aus sind ein Ergebnis dieser Vorstellungen.
Zu New Work gehört aber auch die Arbeit in diversen Teams statt in homogenen Abteilungen. Personen mit ganz unterschiedlichen Kompetenzen kommen für ein Projekt zusammen und ermöglichen neue Blickwinkel und Lösungsmethoden. Diese heterogene Sichtweise führt zu mehr Kreativität und treibt Innovationen voran. Design Sprints, Design Thinking und weitere agile Arbeitsmethoden fügen sich natürlich in dieses Konzept ein.
Begegnung auf Augenhöhe
Damit diese neue Art zu arbeiten gelingen kann, braucht es vor allem einen neuen Führungsstil. Führungskräfte, die ihre Teams überwachen und Aufgaben diktieren, sind antiquiert und passen nicht in die neue Arbeitswelt. Moderne Führungskräfte sind viel mehr Moderator:in, manchmal auch Coach, vertrauen ihren Mitarbeiter:innen und wollen sie befähigen, eigene Entscheidungen zu treffen. Die Zusammenarbeit geschieht auf Augenhöhe. Vor allem diese neuen Führungsmethoden und daraus abgeleitete Arbeitsprozesse sind es, auf die es jetzt ankommt.
/ Wie Menschen arbeiten würden, wenn sie die Wahl hätten
/ Gewünschtes Arbeitsmodell im Einkauf
würden gerne ganz oder teilweise remote arbeiten
arbeiten derzeit ganz oder teilweise remote
Unternehmen, die vor der Herausforderung stehen, neue Arbeitsmodelle einzuführen, müssen abwägen, wie viel Erfolg sie durch hybride Arbeit erreichen können und wie groß die Entfremdung der Mitarbeiter:innen vom Unternehmen werden kann. Schlecht durchdachte Modelle können dazu führen, dass Arbeitskräfte sich abwenden und einen neuen Job suchen. Wer etwa seine Kolleg:innen nie persönlich zu Gesicht bekommt, der fühlt sich schnell isoliert.
Manager:innen müssen also entscheiden, was für ihr Unternehmen sinnvoll und passend ist. Fest steht aber, dass junge Arbeitskräfte moderne Arbeitsmethoden einfordern. Wer sie nicht anbieten kann, dürfte in Zukunft Schwierigkeiten haben, gute Mitarbeitende zu finden. Flexibilität ist zum Beispiel einer der Punkte, den viele Angestellte einfordern, insbesondere was die Arbeitsmodelle anbelangt. Sie wollen eine bessere Work-Life-Balance, Teilzeit oder flexible Arbeitszeiten und keine 50-Stunden-Arbeitswoche.
Führungskräfte müssen die Komfortzone verlassen
Damit Unternehmen einen modernen Führungsstil etablieren können, ist es nötig in der obersten Führungsebene einiges zu ändern, gerade bei traditionsreichen Unternehmen mit hierarchischen Strukturen. Führungskräfte sollten auf die neuen Impulse ihrer Teams hören, mit gutem Beispiel vor-angehen und auch möglichst sämtliche Stakeholder bzw. Entscheider überzeugen. Den ersten Impuls kann eine kleine Pilotgruppe setzen, doch die Verantwortlichkeiten müssen dafür klar geregelt sein. Ansonsten droht eine begonnene Transformation schnell zu verpuffen. Und jede Transformation startet von oben!
Führungsaufgaben auf dem Weg zu NEW WORK
- Vision verankern: Purpose, Werte und Ziele des Unternehmens verkörpern und das Team dafür begeistern
- Regeln der Zusammenarbeit definieren: Flexibilität erhöhen und neue Rollenbilder entwickeln
- Elfenbeinturm verlassen: flache Hierarchien schaffen, auf Augenhöhe kommunizieren
- Auf Akzeptanz bauen: Kultur der Wertschätzung, Offenheit und Respekt
- Selbstständigkeit fördern: die Autonomie des Teams anerkennen und Verantwortung auf die Teammitglieder übertragen
- Fehlerkultur einführen: Lernerfolge durch Fehler und eigenständige Experimente zulassen
- Neue Performance-Ziele schaffen: Mitarbeiter:innen individuell fördern und unterstützen
Der Mensch im Mittelpunkt
Wichtig ist, bei allem Eifer für neues Arbeiten nicht die zwischenmenschlichen Beziehungen außer Acht zu lassen – und das vor allem auch in Remote Settings. Small Talk und „Küchengespräche“, die im Büroalltag gang und gäbe sind, müssen ihr Remote-Pendant finden. So darf es in einer Videokonferenz auch mal um Nebensächlichkeiten wie das Wetter gehen. Doch hier gibt es Grenzen – besonders schwer wird es für Vorgesetzte, wenn sie die Sorgen ihrer Angestellten erfahren wollen. So etwas funktioniert in einem Videogespräch meist nicht. Auch Mitarbeiter:innen, die neu ins Unternehmen gekommen sind, haben es schwer. Die sozialen Kontakte, die die langjährigen Kolleginnen und Kollegen schon untereinander aufgebaut haben – und das in Zeiten, in denen die Mehrheit noch täglich im Büro war – sind von Vorteil. Rein remote arbeitende Teams sind daher nicht ideal. Es braucht individuelle Lösungen, zum Beispiel feste Tage in der Woche, an denen das Team im Büro zusammenkommt.
Teams sitzen heute häufig über Europa oder gar weltweit verteilt. Um eine enge und gute Zusammenarbeit weiterhin aufrechtzuerhalten, sollten trotzdem regelmäßig Treffen stattfinden. Mal kann das am Hauptsitz passieren, mal in Zweigstellen in anderen Städten. Das Büro bleibt damit ein wichtiger Ort, um sich auszutauschen und kreativ zu sein. Es ist der Ort, an dem die Unternehmenskultur gelebt wird, damit die sich auch in den Köpfen zu Hause festsetzt.
Es gibt eine ganze Reihe von Instrumenten und Ansätzen, die es ermöglichen, Arbeitsweisen in kurzer Zeit und auf nachhaltige Weise umzustellen. Um auf dem Weg zur New Work alle mitzunehmen, bieten sich regelmäßig anonyme Befragungen an. Was läuft gut, was läuft schlecht, wo lässt sich die Arbeitsweise verbessern? Mitarbeiter:innen sind das größte Kapital eines jeden Unternehmens, deren Bedürfnissen müssen Arbeitgeber gerecht werden.
Bei aller Transformation gilt es auch, die unterschiedlichen Erwartungen der Mitarbeitenden zu berücksichtigen. Einige sind sehr ambitioniert und wollen schnell befördert werden, andere haben vielleicht gerade eine Familie gegründet und daher einen neuen Lebensmittelpunkt. Vorgesetzte sollten in Erfahrung bringen, welche Zielvorstellung ihre Angestellten haben und wie diese mit dem Job in Einklang gebracht werden können.
New Work in der Beratung
Das klassische Beraterbild gibt es nicht mehr
Den klassischen Consultant, der jeden Montagmorgen mit dem Koffer am Flughafen steht, um zum Kunden zu reisen, gibt es nicht mehr. Kunden und Mitarbeiter:innen erwarten auch von uns größere Flexibilität. So sind wir immer seltener bei unseren Kunden vor Ort – wann, definieren wir zu Projektbeginn gemeinsam. Wenn es im Unternehmen gerade brennt, sind wir selbstverständlich gemeinsam mit dem Kunden unterwegs. Für die alltägliche Projektarbeit ist das aber meist nicht mehr nötig. Und davon profitieren alle Beteiligten – niedrigere Reisekosten, mehr Flexibilität in der Zusammenarbeit sowie eine höhere Effizienz sind die Folge. Und schließlich können wir so auch einen guten Beitrag zur Reduzierung der CO2 – Emissionen leisten.
Das Fundament für New Work
Die große Herausforderung, die dieses Arbeitsmodell mit sich bringt, ist, die Firmenkultur für alle Mitarbeiter:innen erlebbar zu machen. Der erste Schritt sollte daher sein, zu definieren, was die eigene Firmenkultur ausmacht. Wir bei INVERTO haben dazu gemeinsam unsere Werte erarbeitet. Diese Werte sind in der großen Mehrheit bereits heute fester Teil unserer Firmen-DNA, das heißt, wir arbeiten schon seit vielen Jahren danach. Und zu einem weiteren Teil sind es Werte, an denen wir uns zukünftig immer stärker orientieren wollen. Uns ist es besonders wichtig, dass diese Werte auch in der Art, wie wir zusammenarbeiten, reflektiert werden. Diese Werte haben wir im Rahmen unseres NGWOW (Next Generation Ways of Working)-Programms definiert. NGWOW hat das Ziel, die offene Kommunikation, Transparenz und den Fokus auf jede:n Einzelne:n sowie unsere Teams, zu stärken. Und das nicht nur auf dem Papier sondern durch Umsetzung ganz konkreter Maßnahmen. Um alle Kolleg:innen in diese Reise einzubinden, haben wir zudem einen PTO (Predictability, Teaming and Open Communication)-Prozess ins Leben gerufen. Wir führen wöchentlich anonyme Befragungen zur Zufriedenheit durch. Die Ergebnisse der wöchentlichen Umfrage sind transparent, für alle Teammitglieder einsehbar. Sie dienen als Diskussionsgrundlage und um gemeinsam Maßnahmen abzuleiten. Wichtig ist: Jeder hat eine Stimme – Praktikant:innen genauso wie Führungspersonen. Ein dedizierter PTO-Coach unterstützt als neutrale Vertrauensperson sowohl individuelle Mitarbeiter:innen als auch auf Teambasis. Um diesen offenen und konstruktiven Austausch zu ermöglichen, greifen wir auf Methoden aus unserem NGWOW-Programm zurück und initiieren zum Beispiel Maßnahmen zur Steigerung der psychologischen Sicherheit.
Umsetzung konkreter Maßnahmen
PTO hat das Ziel, die Art und Weise, wie wir innerhalb unserer Teams arbeiten, zu transformieren. Ob primär gereist wird oder gemeinsam in einem unserer INVERTO-Offices gearbeitet wird, entscheidet das Team beim Projektstart auf Basis von Kundenanforderungen, aber auch auf Basis von persönlichen und individuellen Präferenzen des Teams. Meistens ergibt sich ein hybrides Modell, welches gemeinsame Arbeit beim und mit dem Kunden verknüpft mit Teamarbeit in INVERTO-Büros sowie mit Homeoffice. Besonders wichtig ist uns, dass die Maßnahmen jedem einzelnen Teammitglied zugutekommen. Jede:r soll die Möglichkeit haben, sich individuell zu entfalten – dabei helfen dann die Homeoffice-Regelungen ebenso wie Flex-Time-Modelle oder Wellbeing-Angebote. Und natürlich sind weiterhin unsere regelmäßigen internen Events – mal in den Projektteams, mal lokal am Bürostandort und mal auch überregional und standortübergreifend – elementar wichtig, um den Unternehmensspirit aufrecht zu erhalten und den persönlichen Kontakt zu fördern. Statt Kicker haben wir übrigens in allen unseren Büros Treffpunkte eingerichtet. Hier treffen sich jeden Freitag Abend die Mitarbeiter:innen, um die Woche gemeinsam zu beschließen und sich auszutauschen.
Moderne Arbeitsmethoden bieten für den Einkauf viele Chancen
Neue Arbeitsmethoden haben viele Vorteile. Sie können Zeit einsparen und die Effizienz steigern. Der Einkauf kann etwa mit Hilfe von Videokonferenzen mit verschiedenen Lieferanten parallel verhandeln. Remote Verhandlungen sind inzwischen an der Tagesordnung und viele Unternehmen fordern das inzwischen sogar ein. Denn für ein 60-minütiges Gespräch um die halbe Welt zu fliegen, ist nicht mehr zeitgemäß und unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten nicht sinnvoll. Allerdings, und auch das ist Teil der Wahrheit, lässt sich ein persönlicher Kontakt nicht in jedem Fall und immer durch eine Teams- oder Zoom-Konferenz ersetzen.
Wichtig für den Erfolg dieser neuen Arbeitsweise ist, dass sich alle Beteiligten an eine gewisse Etikette halten und sich an die neuen Gegebenheiten anpassen. Niemand möchte in einer Videokonferenz mit schwarzen Bildschirmen sprechen. Wer seinen Bildschirm teilt, sollte schauen, dass keine nicht relevanten Dokumente für die Kollegen:innen zu sehen sind. Insgesamt erfordern virtuelle Gespräche einen anderen Umgang mit vertraulichen Unterlagen.
Routineaufgaben, wie zum Beispiel Projektplanungen oder Lieferantenrecherchen, können Enkäufer:innen ebenfalls relativ einfach vom heimischen Schreibtisch aus erledigen. Um Unterlagen, Preiskataloge oder Ähnliches zu sichten, braucht es keinen Besuch vor Ort, das ist mittlerweile alles digital möglich. Durch die Umstellung dieser Prozesse auf digitale Arbeitsweisen wird zudem freie Kapazität geschaffen, die Einkäufer:innen nutzen können, um strategische Themen voranzutreiben.
Auf die richtige Balance kommt es an
Denn der Einkauf steht derzeit vor großen Herausforderungen: Die Lieferantenmärkte sind extrem volatil, Lieferketten müssen angepasst werden, vorausschauendes Risikomanagement ist ebenso an der Tagesordnung wie die Umsetzung von Nachhaltigkeitsstrategien. Diese gestiegene Komplexität wird der Einkauf nur in der strategischen Zusammenarbeit mit Lieferanten und anderen Stakeholdern meistern können. Der Fokus liegt daher auf der Entwicklung von starken Netzwerken und der agilen Zusammenarbeit, auch über Unternehmensgrenzen hinweg. Regelmäßige Kommunikation, Offenheit und Transparenz sind hierbei unabdingbar. Und dafür bedarf es auch eines angemessenen persönlichen Kontaktes.
Gerade zu strategisch wichtigen Partnern in der Wertschöpfungskette ist es wichtig, durch einen regelmäßigen persönlichen Austausch ein enges Verhältnis zu entwickeln. Auch Partnerschaften mit Lieferanten zur gemeinsamen Arbeit an innovativen Lösungen erfordern persönliche Treffen. Hier kommt dem Einkauf eine strategische Rolle hinzu. Er muss mit seinen Lieferanten und den eigenen Abteilungen in engem Kontakt stehen, um genau priorisieren zu können, wo Workshops vor Ort sinnvoll sind.
Wer Remote Work radikal denkt, könnte theoretisch selbst das Qualitätsassessment digital durchführen. Hier gibt es bereits gute virtuelle Lösungen, die einen Einblick in die Produktionsprozesse des Lieferanten erlauben. Allerdings sollen Lieferantenbesuche Sicherheit geben, bevor der Einkauf langfristige Verträge abschließt. Da hat der Einkauf es auch vor Ort oft schwer. Wie kann es gelingen, an einem Tag beim Lieferanten herauszufinden, ob dessen Lieferkette so aufgebaut ist, wie es sich der Einkauf vorstellt? Virtuell wird dies noch weiter erschwert. Denn auch wenn die vor Ort gewonnenen Eindrücke nicht immer aussagekräftig sind, so kann ein Besuch vor Ort – auch wenn er noch so kurz ist – ein erstes Gefühl vermitteln, ob ein potenzieller Lieferant passt. Denn für das Bauchgefühl gibt es keine digitalen Lösungen.
Expert:innen über New Work
Der Psychologe Markus Väth ist einer der renommiertesten New-Work-Experten der Welt. Im Interview erklärt er, warum die Idee hinter dem Konzept oft missverstanden wird, sich gerade etablierte Unternehmen mit der Umsetzung häufig schwertun und wie der Wandel doch gelingen kann.
Markus Väth ist Geschäftsführer der Humanfy GmbH, einer auf New Work und Organisationscoaching spezialisierten Agentur. Zuvor hatte er 14 Jahre als selbständiger Coach und Referent mit ähnlichen Schwerpunktthemen gearbeitet. Er ist Autor mehrerer Bücher zu dem Thema. Väth hat Psychologie an der Universität Erlangen-Nürnberg studiert. Seit 2019 ist er Lehrbeauftragter für New Work und Organisationsentwicklung an der TH Nürnberg.
Herr Väth, New Work ist in der Wirtschaft so präsent wie noch nie. Hat das Thema durch die Corona-Pandemie Hochkonjunktur?
Ganz provokant gesprochen: Nicht New Work hat durch Corona Schwung erhalten, sondern das, was die Menschen dafür halten. Wir sprechen über Themen wie die Digitalisierung. Aber das ist bestenfalls das Fundament, auf dem man wirkliches New Work aufsetzen kann. Die Debatte leidet unter einer grausamen Verkürzung.
Was läuft denn in der Debatte schief?
Viele vergessen, dass New Work überhaupt nicht für die Wirtschaft entwickelt wurde. Frithjof Bergmann (Begründer der New-Work-Idee) hatte es eher als gesamtgesellschaftlichen Entwurf angelegt. All die Maßnahmen, die wir jetzt diskutieren, sind nur eine Ableitung dieser Grundidee. Darunter fallen dann Begriffe wie Homeoffice, New Office oder Activity Based Working.
Also kann New Work in einem Unternehmen allein eigentlich nicht funktionieren?
Das würde ich so auch nicht sagen. Ein Unternehmen kann durchaus erfolgreich New-Work-Ansätze implementieren, wenn es kulturell dafür aufgestellt ist. Das sind aber die wenigsten. Denn dann müsste man etwas am grundsätzlichen Menschenbild ändern. Das ist aber in der Wirtschaft oft noch von Denkern wie Michael E. Porter dominiert, die mit Metaphern von Schlachtfeldern, Sieg oder Niederlage arbeiten. In einem solchen Umfeld funktioniert New Work nicht. Für New Work müssen die Dimensionen Gesellschaft, Emotion und Menschlichkeit mitgedacht werden.
Was umfasst diese menschliche Dimension?
Es geht darum, wie Führungskräfte geschult und wie stark kollektive Prozesse ausgeprägt sind. Es geht um die Frage, wie autonom die Mitarbeitenden agieren dürfen. Zentral ist, dass sie wissen, warum und wofür sie ihre Arbeit eigentlich machen. Und ihnen muss die Chance gegeben werden, sich weiterzuentwickeln.
Das klingt ohne Frage schwieriger, als einfach eine Homeoffice-Richtlinie zu verfassen. Wie kann es gelingen, so etwas in einem Unternehmen umzusetzen?
Es braucht drei Dinge, um jedes New-Work-Thema durchzusetzen. Erstens: Sie müssen alle Menschen im Unternehmen an der Transformation beteiligen. Ansonsten gelingt kein grundlegender Kulturwandel. Akzeptieren Sie aber, dass Sie nicht jede:n auf dem Weg mitnehmen können, 100 Prozent Zustimmung gibt es nie. Zweitens: Die Verantwortlichen, wer auch immer die sind, müssen mitziehen. Wenn der:die Geschäftsführende New Work verordnet, aber es selbst nicht umsetzt, kann das nicht funktionieren. Und drittens: Sie müssen Prozesse schaffen, um den Umbau zu begleiten und zu steuern.
Über welche Prozesse reden wir hier?
Zunächst braucht es Prozesse zum Informationsaustausch. Es muss also darüber gesprochen werden: Was wollen wir erreichen? Wie kommen wir dahin? Welche Schwierigkeiten könnte es geben? Daran anschließend sollten Entscheidungsmodelle aufgesetzt werden, die dabei helfen, die Ergebnisse aus diesem Austausch auch umzusetzen. Dabei kann man sich zum Beispiel die Partizipationsleiter anschauen, ein Modell, das zeigt, wie weit es mit der Beteiligung einzelner in einem System her ist. Das beginnt ganz unten bei der Fremdbestimmung und endet in der Selbstverwaltung auf der höchsten Sprosse. Auf dieser Leiter wollen wir im New-Work-Wandel nach oben kommen.
Sie sagen, dass ein solcher Wandel möglich ist. Aber in großen Unternehmen scheint er sich meist auf einige kosmetische Maßnahmen zu beschränken.
Junge Unternehmen sind bei New Work oft weiter, das ist richtig. Da sind Leute an der Spitze, die vom bestehenden System frustriert sind und ihr Unternehmen von vornherein nach New-Work-Prinzipien ausrichten. Klassischen, gewachsenen Unternehmen fällt das naturgemäß schwerer, sie sehen sich viel mehr Beharrungskräften gegenüber. Sie müssen sich mit Betriebsräten und weiteren Gremien auseinandersetzen, ferner mit den Beschränkungen des Arbeitsrechts. Außerdem gibt es fest eingeübte Prozesse im Betrieb, die man nicht von heute auf morgen ändert. Ganz ehrlich: Da ist es fast leichter, rauszugehen und komplett neu zu starten.
Aber es gibt durchaus auch Beispiele von großen Firmen, denen der Schritt hin zu New Work gelungen ist. Der Bauzulieferer Schüco oder die Handelsgruppe Otto sind große Firmen, die das sehr gut machen.
Was vereint solche erfolgreichen Beispiele?
Die Treiber. Aus meiner Erfahrung weiß ich, dass fast immer einzelne Personen oder eine kleine Gruppe die Auslöser sind. Die brauchen natürlich den Goodwill von oben, eine Geschäftsführung, die ihnen sagt: „Macht mal“. Letztendlich brauchen Sie einige Hochmotivierte, die den Wandel vorantreiben.
Reicht dann auch eine kleine Gruppe Unternehmen, um als New-Work-Treiber für die gesamte Wirtschaft zu agieren?
Ein System macht immer das, was Sinn ergibt. Das klingt banal, bedeutet aber: Wenn Unternehmen mit New Work Erfolg haben, werden andere sich daran orientieren. Letztendlich geht es um Wertschöpfung. Dass New Work dazu beiträgt, dafür fehlt bisher allerdings der Beweis. Eben auch, weil das Konzept an und für sich nicht als Managementmodell gedacht war.
Also wird sich New Work in der eigentlichen Form eher nicht durchsetzen?
Gute Frage. Gerade in der aktuellen Zeit, in der unsere Wirtschaft permanent auf exogene Schocks reagiert, ist es schwer zu sagen, wie es weitergeht.
Ich finde, dass wir darauf hinarbeiten sollten, dass jeder Mensch die Arbeit bekommt, die seinen Stärken und Bedürfnissen entspricht. Es würde allen helfen, den Menschen, den Unternehmen und der Gesellschaft. Ob das dann am Ende New Work ist oder heißt, ist dann eigentlich egal.
Vielen Dank für das Gespräch.
Emma Stewart ist Mitgründerin von Timewise, einer Beratungsfirma für flexibles Arbeiten und unterstützt Unternehmen dabei, moderne Arbeitsmodelle umzusetzen. Sie erklärt, was Unternehmen bei neuen Konzepten falsch machen, warum es ohne nicht mehr geht und wie sogar Branchen davon profitieren können, in denen es auf den ersten Blick schwierig ist.
Emma Stewart ist Entwicklungsdirektorin bei Timewise, einem Sozialunternehmen in Großbritannien, das sich auf flexibles Arbeiten spezialisiert hat. Sie berät Unternehmer:innen dabei, möglichst innovative Lösungen für die moderne Arbeitswelt zu finden. Zuvor hat sie Women Like Us mitgegründet, in der Privatwirtschaft gearbeitet und war beim Dokumentarfernsehen beschäftigt.
Frau Stewart, viele Arbeitnehmer:innen wollen heute anders arbeiten. Wie drückt sich das aus?
Wir erleben gerade einen Wandel: Von 9-to-5 hin zu flexiblen Arbeitszeiten, die zu den eigenen Umständen passen. Von Arbeit an einem festen Arbeitsplatz hin zum Arbeiten, von wo aus man will. Vom Arbeiten als Mittel, nur um Geld zu verdienen, hin zum Arbeiten für ein größeres Ziel oder Purpose. Die Menschen wollen Zugehörigkeit und Werte fühlen, aber in erster Linie wollen sie als Individuen wahrgenommen und respektiert werden.
Sie beraten Unternehmen, wenn es darum geht, New-Work-Konzepte umzusetzen. Welche Fehler machen viele?
Das System und die Prozesse hängen der Geschwindigkeit der Veränderung hinterher. Neun von zehn Leuten in Großbritannien wollten schon vor der Pandemie flexibel arbeiten, sechs von zehn Unternehmen boten das an, doch nur drei von zehn Unternehmen warben damit. Das hat sich leicht verändert, aber nicht viel. Die meisten Unternehmen sind nur sehr vage in ihren Stellenbeschreibungen, wenn es um flexibles Arbeiten geht, oder sie betreiben ein „Flex-Washing“. Dann heißt es beispielsweise, dass man generell offen sei für neue Arbeitszeiten oder Anpassungen, was am Ende aber so nicht stimmt. Unsere Untersuchungen zeigen, dass die Hälfte der Kanditat:innen eine Jobanzeige wegklickte, wenn darin vage von flexibler Arbeit die Rede war. Wenn spezifisch erwähnt wird, was möglich ist, beispielsweise eine Drei-Tage-Woche oder ein späterer Start in den Arbeitsalltag, dann zieht das Talente an. Ohne New-Work-Angebote finden Firmen keine Talente.
Was können Firmen besser machen?
Bewerber:innen brauchen klare Aussagen über die flexiblen Angebote, beispielsweise: In unserem Unternehmen dürfen Sie zu jeder Tageszeit arbeiten oder von wo aus Sie wollen. Das Gleiche gilt für andere Aspekte von New Work: Wir ermutigen Unternehmen zu zeigen, wie divers und inklusiv sie arbeiten und dass sie ihren Purpose herausstellen. Und wozu wir immer ermutigen, weil es wichtig ist: Reflektieren Sie darüber, was wirklich in Ihrer Firma vor sich geht. Wenn Leute gehen, wissen Sie, warum sie gehen? Und wenn sie gehen, weil sie nicht frei genug arbeiten können, sich nicht wertgeschätzt fühlen oder keinen Sinn in ihrer Arbeit sehen, müssen Sie das zuerst in den Griff bekommen, bevor Sie sich um neue Arbeitnehmer:innen bemühen.
Flexibles Arbeiten wird von einigen Führungskräften kritisch gesehen. Was entgegnen Sie denen?
Neu und anders zu arbeiten, bedeutet immer, das bisherige herauszufordern. Sie müssen Normen und Stigmata, die sich über lange Zeit etabliert haben, brechen. Oft heißt es beispielsweise, das flexibles Arbeiten nur für den oder die Arbeitnehmer:in einen Vorteil bringen würde, nicht aber für das Unternehmen. Das ist falsch, wie zahllose Studien zeigen. Teilzeitkräfte oder solche, die zu flexiblen Uhrzeiten arbeiten, sind mindestens genauso produktiv oder sogar produktiver als ihre 9-to-5-Kollegen. Das müssen die Verantwortlichen verstehen und das Narrativ ändern.
Wie lange dauert so ein Prozess?
Psychologen sagen in der Regel, dass Menschen 60 Tage brauchen, um ein Verhalten von Grund auf zu ändern. Ich glaube, dass es in Unternehmen wesentlich länger dauert, abhängig natürlich von der Größe. Kleine Unternehmen werden das schneller hinbekommen als große und relativ junge Unternehmen werden noch schneller sein, weil sie noch nicht so viele Normen und Standards haben. Wir gehen im Schnitt davon aus, dass ein erfolgreicher Wandel mindestens sechs Monate dauert, aber nie wirklich abgeschlossen ist. Sie müssen sich ständig fragen: Arbeiten wir jetzt besser? Arbeiten wir flexibler? Es geht um ständige Reflexion auf allen Ebenen und darum, bei Bedarf gegensteuern zu können.
Was ist wichtig, um einen Erfolg nachweisen zu können?
Sie sollten in jedem Fall sehr viele Daten sammeln. Wie produktiv hat das Team vorher gearbeitet? Wie effektiv arbeitet es nach der Umstellung? Wie hat sich die Zufriedenheit mit der Arbeit entwickelt? Nur mit einem Bauchgefühl zu argumentieren, ist immer schwierig. Besser sind harte Daten, die einen Erfolg durch die Umstellung belegen.
Welche Rolle spielen Führungskräfte?
Sie brauchen für die Umsetzung in Unternehmen natürlich starke Führungskräfte, die das Thema auf die Agenda heben. Dafür müssen die aber auch die richtigen Instrumente haben. Wir bringen unseren Managern heutzutage bei, wie sie eine Excel-Tabelle ausfüllen, aber nicht, wie sie diverse Teams über verschiedene Zeitzonen in hybriden Arbeitssituationen führen. Da braucht es Kompetenzen und da braucht es Schulungen. In vielen Unternehmen ist es zudem so, dass es kaum proaktive Veränderung aus der Organisation heraus gibt. Meist sind es einzelne Mitarbeiter:innen, die vorsichtig bei den Chef:innen nachfragen, ob sie nicht anders arbeiten könnten, beispielsweise in Teilzeit oder aus dem Homeoffice, weil sie etwa einen Verwandten pflegen müssen. Hier sollten Unternehmen viel stärker von sich aus Angebote machen oder zumindest zeigen, dass sie offen sind für Vorschläge. Sonst verlieren sie Talente, die sich nicht trauen zu fragen und eher die Firma wechseln.
Können Vorbilder helfen, Akzeptanz für die neue Art der Arbeit zu schaffen?
Auf jeden Fall, persönliche Erfahrungen sind immer inspirierend. Wichtig ist, dass Sie als Unternehmen verschiedene Vorbilder aus allen Ebenen der Organisation in den Mittelpunkt stellen. Es muss nicht immer die Mutter sein, die wegen ihrer Kinder nur noch Teilzeit macht, sondern auch Männer, die von ihrer flexiblen Arbeitszeit berichten. Nicht nur Mitarbeitende, sondern auch Führungskräfte. Das ist wichtig, um Vorurteile aufzulösen und flexibles Arbeiten als etwas ganz Normales zu etablieren.
Flexibles Arbeiten funktioniert nicht in allen Branchen. Kann trotzdem jedes Unternehmen eine New Work Company werden?
Ja, das geht! Selbst in den Branchen, wo flexibles Arbeiten schwierig ist, ist immer ein gewisser Spielraum gegeben. Natürlich kann ein Handwerker nicht von zu Hause aus arbeiten, aber trotzdem anders als bisher. Wir haben beispielsweise mit dem Branchenverband Build UK und einigen Firmen ein Projekt im Baugewerbe umgesetzt. Wir haben die Arbeitenden dafür entsprechend ihrer Wünsche in Schichten eingeteilt und siehe da: Das Wohlbefinden stieg innerhalb von 16 Monaten von 48 auf 84 Prozent. Ein ähnliches Projekt lief mit NHS und drei Krankenhäusern. Durch die Aufteilung des Dienstplans auf das Team wurden die Bedürfnisse besser berücksichtigt. Oftmals sind es kleine Dinge, die mehr Autonomie und Zufriedenheit schaffen.
Vielen Dank für das Gespräch.